Glossar

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Der Werkschutz in I.G. Auschwitz

 a  Willy Berler hatte Fieber und wollte sich auf der Baustelle kurz ausruhen: „Diesmal ist es weder ein SS-Mann, noch ein Kapo, der mich aufspürt, sondern ein deutscher Zivilist, Meister bei der IG Farben. Am Bauplatz […] behandeln die zivilen Angestellten, Meister der IGF, die Juden genauso wie die SS das tut. […] Obwohl der Kerl genau weiß, was mich erwartet, beeilt er sich, mich beim Kapo zu melden. Das, was dann kommt, ist Routine. Der Kapo verprügelt mich erst, dann erstattet er Meldung beim diensthabenden SS-Mann, und am selben Abend nach dem Appell erhalte ich die vorgesehene Disziplinarstrafe: ‚Fünfundzwanzig auf den Hintern‘.“

(Willy Berler: Durch die Hölle. Monowitz, Auschwitz, Groß-Rosen, Buchenwald. Augsburg: Ölbaum 2003, S. 78.)

Wie in den übrigen Werken der I.G. Farbenindustrie wurden auch für das neue Werk in Auschwitz Wachmannschaften aufgestellt, der sogenannte Werkschutz. Dieses „zentrale Instrument bei der Durchsetzung von härteren Disziplinarmaßnahmen durch IG-eigene Organe“[1] bestand aus drei Abteilungen, benannt nach ihren Tätigkeitsbereichen: Die Abteilung „Ermittlung“, geleitet von Günther Lotzmann, war verantwortlich für die Bearbeitung von Diebstahlfällen und die Behandlung der sogenannten „Arbeitsbummelanten“. Der Bereich „Abwehr“ wurde geleitet von Johann Brandl. Als Abwehrbeauftragter der Wehrmacht war er zuständig für die Verfolgung ‚politischer‘ Delikte wie Sabotage und Spionage. Der uniformierte Werkschutz unter Bensch übernahm Wach- und Schließarbeiten und fungierte auf dem Werksgelände als Sicherheitsdienst mit polizeiähnlichen Kompetenzen und Waffen, darunter auch Hundestaffeln.

 

Zu den weiteren Aufgaben des Werkschutzes gehörte die Überprüfung der Angestellten auf ihre „politische Unbedenklichkeit“[2] und die Eindämmung der Fluchten vor allem ausländischer Arbeiter/innen. Die Zuständigkeit des Werkschutzes umfasste neben der Baustelle alle Lager der I.G. Auschwitz – ausgeschlossen nur das KZ Buna/Monowitz, das der SS unterstand. Den genannten drei Bereichen stand Oberstleutnant a.D. Franz Niepmann vor, der nur Betriebsleiter Walther Dürrfeld Rechenschaft schuldig war. Der ihm untergeordnete „Werkschutzführer“ Max Sauerteig war für seine Brutalität im Umgang vor allem mit ausländischen „Fremdarbeitern“ bekannt: Günther Lotzmann gab im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben zu Protokoll, Sauerteig habe die Häftlinge geschlagen und sei hierin von Dürrfeld gedeckt worden.

 

Dem Werkschutz gehörten im Dezember 1943 166 hauptamtliche Mitarbeiter an, dazu kamen 150 nebenamtliche und eine Reihe von Spitzeln, sogenannten „V-Männern“ („Vertrauensmänner“), die „normal im Werk arbeiteten und Berichte über ihre Beobachtungen abgaben“[3]. Für ihre Belohnung stellte die Werksleitung den Abteilungen Spesen zur Verfügung.

 

Der Umgang der Ermittlungsabteilung mit Tatverdächtigen variierte, je nachdem wer zum Beispiel eines Diebstahls verdächtigt wurde: ein deutscher Arbeiter wurde verhört, das Ermittlungsprotokoll ging dann an Werkschutzleiter Niepmann, der allein oder mit Dürrfeld über das Strafmaß entschied. „Fremdarbeiter“ wurden ebenfalls verhört, jedoch: „War der Ermittlungsangestellte von der Schuld des Betreffenden überzeugt, der es jedoch nicht zugeben wollte, wurde der betreffende Fremdarbeiter auch ins Gesicht geschlagen.“[4] Das Strafmaß für „Fremdarbeiter“ wurde so gewählt, dass ihre Arbeitskraft dem Werk erhalten blieb, d.h. Verwarnungen oder fünf Hiebe mit einem hohlen Gummischlauch waren üblich. Russische Arbeiter konnten auch bis zu drei Tage im I.G.-eigenen „Arrestlokal“ inhaftiert werden. Allgemein wurde in der I.G. Auschwitz darauf Wert gelegt, nur besonders schwere Fälle an die Gestapo zu übergeben: Es sollte vermieden werden, dass Werksangehörige wegen Inhaftierung längere Zeit als Arbeiter/innen ausfielen. Standen jedoch KZ-Häftlinge unter Diebstahlverdacht, „erstattete der betreffende IG-Meister Oberstleutnant Niepmann Bericht, der ihn an Schöttl, den Lagerleiter des Konzentrationslagers Monowitz, weitergab.“[5] Die – brutale – Bestrafung übernahm dann die SS.

 

Aus Sicht der I.G. war die Verfolgung der „Arbeitsbummelanten“ eine der wesentlichsten Aufgaben des Werkschutzes: neben Häftlingen  a  waren es vor allem ausländische „Fremdarbeiter“, denen vorgeworfen wurde, bewusst langsam zu arbeiten und so die I.G. zu sabotieren. Sie wurden von der Ermittlungsabteilung streng verfolgt. Besonders galt dies ab Mitte 1943, „nachdem französische Arbeiter in verstärktem Maße unter sehr großen Versprechungen, die nicht gehalten worden sind, zur IG Auschwitz gelockt worden waren“[6]. Zur Bekämpfung der „Faulheit“ wurde im März 1943 eine „Einsatzberatungsabteilung“ eingerichtet, die unter der Leitung von Assessor Schneider die Arbeitsleistung der gesamten Belegschaft zu kontrollieren hatte. Ein Strafarbeitskommando, die sogenannte „zbV-Kolonne“ („zur besonderen Verfügung“), in dem die angeblichen Faulenzer für die Dauer ihrer Strafe unter Aufsicht des uniformierten Werkschutzes arbeiten mussten, wurde Anfang 1943 wieder abgeschafft. Stattdessen wurden die „säumigen“ Arbeiter ins neu eingerichtete Arbeitserziehungslager Monowitz eingewiesen, wo sie unter ähnlichen Bedingungen wie die KZ-Häftlinge eine gewisse Zeit arbeiten mussten; viele kamen vor Ablauf ihrer Strafzeit um. „Rückfällige Arbeitsbummelanten“[7] wurden von der Abwehrabteilung an die Gestapo übergeben.

 

Als die Baustelle im Januar 1945 auf die Räumung – Demontage und Flucht vor der näherrückenden Roten Armee – vorbereitet wurde, war der Werkschutz nicht nur für die Absperrung des Geländes bis zum Räumungsbefehl verantwortlich, sondern er stellte auch ein Bataillon des „Deutschen Volkssturms“ in der Gegend um Auschwitz.

(SP)



Materialien

[pdf] Werkschutz_IGAuschwitz_Tabelle

 

Quellen

Günther Lotzmann, Eidesstattliche Erklärung, 3.9.1947, NI-10166. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 74 (d), Bl. 102–116.

Johann Brandl, Eidesstattliche Erklärung, 6.3.1948, Dü-1101. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, Dürrfeld Exhibit 146, reel 065, Defense Exhibits (e) Duerrfeld Nos. 1–206, Bl. 861–868.

 

Literatur

Berler, Willy: Durch die Hölle. Monowitz, Auschwitz, Groß-Rosen, Buchenwald. Augsburg: Ölbaum 2003.

Wagner, Bernd C.: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. München: Saur 2000.

[1] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. München: Saur 2000, S. 228.

[2] Wagner: IG Auschwitz, S. 228.

[3] Günther Lotzmann, Eidesstattliche Erklärung, 3.9.1947, NI-10166. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 74 (d), Bl. 102–116, hier Bl. 114.

[4] Lotzmann, Eidesstattliche Erklärung, 3.9.1947, Bl. 105.

[5] Lotzmann, Eidesstattliche Erklärung, 3.9.1947, Bl. 106.

[6] Lotzmann, Eidesstattliche Erklärung, 3.9.1947, Bl. 106.

[7] Johann Brandl, Eidesstattliche Erklärung, 6.3.1948, Dü-1101. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, Dürrfeld Exhibit 146, reel 065, Defense Exhibits (e) Duerrfeld Nos. 1–206, Bl. 861–868, hier Bl. 867.