Bestrafungen und Hinrichtungen
(Joseph Borkin: Die unheilige Allianz der I.G. Farben. Eine Interessengemeinschaft im Dritten Reich. Frankfurt am Main/New York: Campus 1990, S. 116.)
Der Umgang der SS sowie vieler I.G.-Angestellter und Funktionshäftlinge mit den einfachen Häftlingen war von Willkür und der dauernden Drohung mit Strafen bis hin zur Gaskammer in Birkenau geprägt. Die SS schuf einen rechtlosen Raum, ein System des Terrors, in dem Morde und brutale körperliche Misshandlungen den Alltag der Häftlinge prägten, was eine andauernde Atmosphäre der Angst erzeugte.
In der Anfangszeit des KZ Buna/Monowitz wandte die SS „Strafsport“ zur Schikane und Erschöpfung der Häftlinge an. Dazu kamen ‚Spiele‘ mit dem Leben der Häftlinge, wie das „Mützewerfen“: Ein SS-Mann warf die Mütze eines Häftlings außerhalb der Postenkette; lief der Häftling, sie holen, wurde er von dem SS-Mann „auf der Flucht erschossen“. Für den SS-Mann lohnte sich das, da er für jede ‚verhinderte Flucht‘ mehrere Tage Urlaub bekam. Auch Kapos konnten Häftlinge willkürlich misshandeln: „Bei der sogenannten Halsschaukel wurde dem Häftling ein Stock quer über den Hals gelegt, auf dessen beiden Enden sich der Funktionshäftling stellte. Durch Gewichtsverlagerung von einem zum anderen Bein ‚wippte‘ er dann sein Opfer zu Tode. Der unter anderem als Oberkapo des Buna-Kommandos eingesetzte Bonitz wurde von ehemaligen Häftlingen mindestens 50 solcher Morde beschuldigt.“[1]
Die Werksleitung versuchte, willkürliche Bestrafungen, die nicht zur Produktivität der Häftlinge beitrugen, einzudämmen, doch ging sie grundsätzlich davon aus, dass nur durch Antreiben, Schlagen und Strafen die gewünschte Arbeitsleistung der Häftlinge zu erreichen wäre. Über den I.G.-Bauleiter Max Faust berichtet der ehemalige Häftling Arnest Tauber, dass er selbst auf der Baustelle Häftlinge mit einem Knüppel schlug. Viele Meister nutzten die Kapos als verlängerten Arm, um die Häftlinge zu Arbeit anzutreiben, und gaben so den Druck von Fertigstellungsterminen weiter. Die Meister hatten die Arbeitsleistung der Häftlinge, gemessen in Prozent an der Leistung eines deutschen Arbeiters, an die Lagerleitung zu melden. Bei weniger als 75%, oder einmalig zwischen 50% und 60%, erhielt der Häftling 10–25 Stockhiebe, bei mehrmaligen ‚schlechten Leistungen‘ wurde er in ein schwereres Kommando versetzt, 20% konnten den Tod bedeuten. Manche Meister schrieben immer 75% auf, doch nutzten andere auch bewusst ihre Macht über die Häftlinge. Die Werksleitung klagte häufig über die „Arbeitsbummelei“ der Häftlinge und löste bei der SS Selektionen der „nicht arbeitsfähigen“ Häftlinge aus.
Neben der Arbeitsleistung hatten die Meister und Kontrolleure der I.G., die auf der Baustelle unterwegs waren, auch ‚Vergehen‘ der Häftlinge zu melden.
Zur Kontrolle der Häftlinge und zur Verhinderung politischer und Widerstandsaktivitäten nutzte die SS Spitzel unter den Häftlingen. Wurde ein Spitzel enttarnt, drohte ihm von der Häftlingsgemeinschaft der Tod. Die Politische Abteilung versuchte, mit Schlägen und dem Hängen an einen Pfahl Geständnisse von verdächtigen Häftlingen zu erpressen. Auch stand ihr ein Stehbunker von 40x40 cm zur Verfügung, in den man nur von oben hineingelangen konnte. Darin wurde ein Häftling bis zu acht Tage eingesperrt, erhielt nur jeden vierten Tag Essen und wurde nur einmal täglich zur Toilette geführt. Als offizielle Strafe zur Abschreckung anderer Häftlinge vollzog die SS öffentliche Hinrichtungen auf dem Appellplatz. Insbesondere wurden dort Häftlinge aufgehängt, die bei einem Fluchtversuch erwischt worden waren. In der Erinnerung vieler Überlebender haben sich die jüdischen Widerstandskämpfer Nathan Weissmann, Janek Grossfeld und Leo Diament eingeprägt, die am 10. Oktober 1944 auf dem Appellplatz gehängt wurden.
(MN)