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Bestrafungen und Hinrichtungen

Benjamin Grünfeld: Bestrafung eines Häftlings durch einen SS-Mann auf der Baustelle'© Benjamin Grünfeld
Benjamin Grünfeld: Bestrafung eines Häftlings durch einen SS-Mann auf der Baustelle
© Benjamin Grünfeld
Benjamin Grünfeld: Erhängung im KZ Buna/Monowitz'© Benjamin Grünfeld
Benjamin Grünfeld: Erhängung im KZ Buna/Monowitz
© Benjamin Grünfeld

 a  „Bei Verstößen gegen die Lagerordnung wandte sich die I.G. schriftlich an die SS mit der Bitte um Bestrafung. Die SS entsprach den Forderungen und vermerkte auf ihren Formblättern die Art der Anschuldigung und die Bestrafungsmethode. Typische ‚Delikte‘ waren: ‚Faulheit‘, ‚Drückebergerei‘, ‚Ungehorsam‘, ‚widerwilliger Gehorsam‘, ‚zu langsame Arbeit‘, ‚hat Knochen aus der Mülltonne gegessen‘, ‚hat von den Kriegsgefangenen Brot gebettelt‘, ‚Zigarettenrauchen‘, ‚hat für zehn Minuten die Arbeit verlassen‘, ‚hat sich während der Arbeit hingesetzt‘, ‚hat Feuerholz gestohlen‘, ‚hat einen Kessel mit Suppe gestohlen‘, ‚besaß Geld‘, ‚sprach mit einem weiblichen Häftling‘ und ‚hat sich die Hände aufgewärmt‘. Die Reaktion der SS reichte von Entzug der Nahrung über Prügeln mit Stock oder Peitsche bis Erhängen oder ‚Selektion‘.“

(Joseph Borkin: Die unheilige Allianz der I.G. Farben. Eine Interessengemeinschaft im Dritten Reich. Frankfurt am Main/New York: Campus 1990, S. 116.)

Der Umgang der SS sowie vieler I.G.-Angestellter und Funktionshäftlinge mit den einfachen Häftlingen war von Willkür und der dauernden Drohung mit Strafen bis hin zur Gaskammer in Birkenau geprägt. Die SS schuf einen rechtlosen Raum, ein System des Terrors, in dem Morde und brutale körperliche Misshandlungen den Alltag der Häftlinge prägten, was eine andauernde Atmosphäre der Angst erzeugte.

 

In der Anfangszeit des KZ Buna/Monowitz wandte die SS „Strafsport“ zur Schikane und Erschöpfung der Häftlinge an. Dazu kamen ‚Spiele‘ mit dem Leben der Häftlinge, wie das „Mützewerfen“: Ein SS-Mann warf die Mütze eines Häftlings außerhalb der Postenkette; lief der Häftling, sie holen, wurde er von dem SS-Mann „auf der Flucht erschossen“. Für den SS-Mann lohnte sich das, da er für jede ‚verhinderte Flucht‘ mehrere Tage Urlaub bekam. Auch Kapos konnten Häftlinge willkürlich misshandeln: „Bei der sogenannten Halsschaukel wurde dem Häftling ein Stock quer über den Hals gelegt, auf dessen beiden Enden sich der Funktionshäftling stellte. Durch Gewichtsverlagerung von einem zum anderen Bein ‚wippte‘ er dann sein Opfer zu Tode. Der unter anderem als Oberkapo des Buna-Kommandos eingesetzte Bonitz wurde von ehemaligen Häftlingen mindestens 50 solcher Morde beschuldigt.“[1]

 

Die Werksleitung versuchte, willkürliche Bestrafungen, die nicht zur Produktivität der Häftlinge beitrugen, einzudämmen, doch ging sie grundsätzlich davon aus, dass nur durch Antreiben, Schlagen und Strafen die gewünschte Arbeitsleistung der Häftlinge zu erreichen wäre. Über den I.G.-Bauleiter Max Faust berichtet der ehemalige Häftling Arnest Tauber, dass er selbst auf der Baustelle Häftlinge mit einem Knüppel schlug. Viele Meister nutzten die Kapos als verlängerten Arm, um die Häftlinge zu Arbeit anzutreiben, und gaben so den Druck von Fertigstellungsterminen weiter. Die Meister hatten die Arbeitsleistung der Häftlinge, gemessen in Prozent an der Leistung eines deutschen Arbeiters, an die Lagerleitung zu melden. Bei weniger als 75%, oder einmalig zwischen 50% und 60%, erhielt der Häftling 10–25 Stockhiebe, bei mehrmaligen ‚schlechten Leistungen‘ wurde er in ein schwereres Kommando versetzt, 20% konnten den Tod bedeuten. Manche Meister schrieben immer 75% auf, doch nutzten andere auch bewusst ihre Macht über die Häftlinge. Die Werksleitung klagte häufig über die „Arbeitsbummelei“ der Häftlinge und löste bei der SS Selektionen der „nicht arbeitsfähigen“ Häftlinge aus.

 

Neben der Arbeitsleistung hatten die Meister und Kontrolleure der I.G., die auf der Baustelle unterwegs waren, auch ‚Vergehen‘ der Häftlinge zu melden.  a  Die häufigste Strafe waren bis zu 25 Stockhiebe auf dem Bock, oft durch Funktionshäftlinge im Beisein der SS. Viele der misshandelten Häftlinge wurden schon vor dem Ende der Prügelstrafe ohnmächtig. Auch konnte Essensentzug bei ganzen Arbeitskommandos verhängt oder als besonders schwere Strafe ein Häftling in eine Kohlegrube versetzt werden. Eine weitere Strafe bestand darin, dass der Häftling in dem 60–80cm breiten Schlauch zwischen dem elektrischen Zaun und dem zweiten Zaun stehen musste; auf diese Art wurden auch Zivilisten für verbotene Kontakte mit Häftlingen bestraft.

 

Zur Kontrolle der Häftlinge und zur Verhinderung politischer und Widerstandsaktivitäten nutzte die SS Spitzel unter den Häftlingen. Wurde ein Spitzel enttarnt, drohte ihm von der Häftlingsgemeinschaft der Tod. Die Politische Abteilung versuchte, mit Schlägen und dem Hängen an einen Pfahl Geständnisse von verdächtigen Häftlingen zu erpressen. Auch stand ihr ein Stehbunker von 40x40 cm zur Verfügung, in den man nur von oben hineingelangen konnte. Darin wurde ein Häftling bis zu acht Tage eingesperrt, erhielt nur jeden vierten Tag Essen und wurde nur einmal täglich zur Toilette geführt. Als offizielle Strafe zur Abschreckung anderer Häftlinge vollzog die SS öffentliche Hinrichtungen auf dem Appellplatz. Insbesondere wurden dort Häftlinge aufgehängt, die bei einem Fluchtversuch erwischt worden waren. In der Erinnerung vieler Überlebender haben sich die jüdischen Widerstandskämpfer Nathan Weissmann, Janek Grossfeld und Leo Diament eingeprägt, die am 10. Oktober 1944 auf dem Appellplatz gehängt wurden.

(MN) 



Quellen

Gregoire Afrine, Eidesstattliche Erklärung, 5.6.1947, NI-7184. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 (d), Bl. 98–102.

Leonard Dales, Eidesstattliche Erklärung, 17.7.1947, NI-11695. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 (e), Bl. 103–107.

Salomon Kohn, Eidesstattliche Erklärung, 29.5.1947, NI-10824. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 (d), Bl. 110–115.

[Posener, Curt]: Zur Geschichte des Lagers Auschwitz-Monowitz (BUNA). Unveröffentlichtes Manuskript, undatiert, 53 Seiten. Archiv des Fritz Bauer Instituts.

Ya’acov Silberstein, Lebensgeschichtliches Interview [Hebr.], 29./30.7.2007. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Norbert Wollheim Memorial.

Jan Stern, Eidesstattliche Erklärung, 1.5.1947, NI-4828. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 (d), Bl. 143–146 sowie ADB 78 (d), Bl. 166–169.

Arnest Tauber, Eidesstattliche Erklärung, 3.5.1947, NI-4829. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 74 (d), Bl. 147–149.

Noack Treister, Eidesstattliche Erklärung, 3.3.1947, NI-4827. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 (d), Bl. 184–186 sowie ADB 79 (d), Bl. 1–3.

Robert Elie Waitz, Eidesstattliche Erklärung, 12.11.1947, NI-12373. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 N, Bl. 31–39.

 

Literatur

Borkin, Joseph: Die unheilige Allianz der I.G. Farben. Eine Interessengemeinschaft im Dritten Reich. Frankfurt am Main/New York: Campus 1990.

Diament, Freddy: We are the last victims. In: Jewish Spectator, April 1968, S. 9–12.

Setkiewicz, Piotr: Ausgewählte Probleme aus der Geschichte des IG Werkes Auschwitz. In: Hefte von Auschwitz 22 (2002), S. 7–147.

Wagner, Bernd C.: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. München: Saur 2000.

White, Joseph Robert: IG Auschwitz: The Primacy of Racial Politics. Dissertation, University of Nebraska at Lincoln, NE, 2000.

[1] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. München: Saur 2000, S. 121. Die erwähnten Beschuldigungen wurden im 3. Frankfurter Auschwitz-Prozess vorgebracht.