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Henry Ormond (1901–1973)

Henry Ormond (Mitte) während des 1. Frankfurter Auschwitz-Prozesses (1963–1965)'© Fritz Bauer Institut
Henry Ormond (Mitte) während des 1. Frankfurter Auschwitz-Prozesses (1963–1965)
© Fritz Bauer Institut

Henry Ormond alias Hans Ludwig Jacobsohn (nach Adoption im Jahr 1920 H. L. Oettinger) wurde am 27. Mai 1901 in Kassel geboren, besuchte in Mannheim die Schule und machte 1919 dort das Abitur. In Heidelberg und Berlin studierte er Rechtswissenschaften und schloss 1926 mit dem Assessorexamen ab. Er begann, am Amtsgericht Mannheim zu arbeiten. Im Mai 1933 versetzten die Nationalsozialisten Ormond auf der Grundlage des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ als Beamten „nicht arischer Abstammung“ „in den Ruhestand“. Arbeitslos geworden, verdingte sich Ormond als Angestellter bei einer Frankfurter Kohlegroßhandlung. Sein Arbeitgeber, Hugo Nirmaier, war Nazi-Gegner und konnte Ormond bis 1938, bis zur erzwungenen Entlassung, beschäftigen.

 

Drei Tage nach der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 verhaftete ihn die Gestapo im Zuge der verschärften antisemitischen Verfolgung und verschleppte ihn ins Konzentrationslager Dachau. Mitte März 1939 entließ die SS den körperlich versehrten Häftling mit Erfrierungen an beiden Händen und mit der Auflage, seine Emigration vorzubereiten. Im Juni 1939 gelangte Ormond über die Schweiz nach Großbritannien. Als „feindlicher Ausländer“ qualifiziert, wurde er interniert und erst nach 14 Monaten in die Freiheit entlassen. Ormond trat der Britischen Armee im Juli 1941 bei und leistete Pionier-, Wach- und Bürodienst in England. Im Juli 1943 nahm er den Namen Henry Lewis Ormond an. Ormond wurde im August 1944 nach Frankreich verlegt. Als Angehöriger einer Information Control Unit kam er ins besetzte Deutschland (Britische Zone) und war mit anderen an der Gründung des Wochenmagazins Der Spiegel beteiligt. 1950 richtete er in Frankfurt am Main eine Rechtsanwaltskanzlei ein und konzentrierte seine anwaltliche Tätigkeit auf Entschädigungs- und Rückerstattungsverfahren für NS-Opfer und auf die Verfolgung der NS-Täter. Er vertrat Norbert Wollheim in dessen Prozess gegen I.G. Farben auf die Erstattung vorenthaltenen Arbeitslohns und Schadensersatz. In zahlreichen Strafgerichtsprozessen trat Ormond als Vertreter von Nebenklägern (NS-Opfern bzw. ihren Angehörigen) auf. So vertrat er im 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963–1965) 15 Nebenkläger.

 

Den Opfern, so Ormonds Anliegen, wollte er auf der Grundlage von Recht und Gesetz, im Verlangen nach Gerechtigkeit und Sühne, eine Stimme in den Strafprozessen geben. Als „rechtschaffener Anwalt“, als „juristisches Gewissen Deutschlands“, genoss Ormond über die Bundesrepublik hinaus großes Ansehen. Neben seiner Tätigkeit als Rechtsbeistand von NS-Opfern betätigte er sich in Hilfs-Organisationen für Israel. Ormond verstarb 1973 im Gerichtssaal in Folge eines Herzinfarkts.

(WR)



Literatur

Ritz, Christian: Die westdeutsche Nebenklagevertretung in den Frankfurter Auschwitz-Prozessen und im Verfahrenskomplex Krumey/Hunsche. In: Kritische Justiz 40 (2007), H. 1, S. 51–72.

Weber, Dolf: Henry Ormond – ein juristisches Gewissen Deutschlands. In: Klaus Reichert u.a. (Hg.): Recht, Geist und Kunst. Liber amicorum für Rüdiger Volhard. Baden-Baden: Nomos 1996, S. 208–224.

Witte, Walter: Alles zu seiner Zeit: Rechtsanwalt Henry Ormond (1901–1973). Unveröffentlichtes Typoskript, undatiert, 376 Seiten. Kopie im Archiv des Fritz Bauer Instituts.