Hygiene
„Die Wände sind mit sonderbaren didaktischen Fresken bemalt. Man sieht da zum Beispiel den guten Häftling mit entblößtem Oberkörper, wie er sich gerade den wohlgeschorenen und rosigen Schädel gewissenhaft einseift, und den schlechten Häftling mit ausgeprägter semitischer Nase und grünlicher Haut, der, ganz eingemummt in seine auffällig beschmierte Kleidung, die Mütze auf dem Kopf, zaghaft einen Finger in das Wasser des Waschbeckens taucht. Unter dem ersten Bild steht: ‚so bist du rein‘ und unter dem zweiten: ‚So gehst du ein‘; und weiter unten, in zweifelhaftem Französisch, doch in deutscher Schrift: ‚La propreté, c’est la santé‘. An der gegenüberliegenden Wand fristet eine riesige schwarz-weiß-rote Laus ihr Dasein mit der Losung: ‚Eine Laus, dein Tod‘ und dem geistreichen Zweizeiler: Nach dem Abort, vor dem Essen, Händewaschen nicht vergessen.“
(Primo Levi: Ist das ein Mensch? Erinnerungen an Auschwitz. Frankfurt am Main: Fischer 1961, S. 39–40.)
(Paul Steinberg: Chronik aus einer dunklen Welt. Ein Bericht. Aus dem Französischen von Moshe Kahn. München: Hanser 1998, S. 49–50.)
(Benedikt Kautsky: Teufel und Verdammte. Erfahrungen und Erkenntnisse aus sieben Jahren in deutschen Konzentrationslagern. Zürich: Gutenberg 1946, S. 218.)
(Benedikt Kautsky: Teufel und Verdammte. Erfahrungen und Erkenntnisse aus sieben Jahren in deutschen Konzentrationslagern. Zürich: Gutenberg 1946, S. 219.)
„Sich an diesem Ort Tag für Tag mit dem trüben Wasser in den verdreckten Becken zu waschen, um der Reinlichkeit und der Gesundheit willen, ist praktisch zwecklos; ungeheuer wichtig aber ist es als Symptom der verbliebenen Vitalität und als Hilfsmittel für das moralische Überleben.“[1]
Von Beginn ihrer Haft an wurden die Deportierten mit Vorschriften konfrontiert, die sich unmöglich befolgen ließen. Dies galt insbesondere für die in Befehlen und Wandbeschilderungen propagierte Sauberkeit und Hygiene.
Im Lager war es für die Häftlinge beinahe unmöglich, ein Mindestmaß an Hygiene aufrecht zu halten, da die elementarsten Voraussetzungen hierfür fehlten. Zwar mussten tausende Häftlinge jeden Morgen antreten, um sich in einer der fünf Waschbaracken zu waschen. Weil für Frühstück, „Bettenbau“ und Körperpflege jedoch nur eine halbe Stunde vorgesehen war und viele der geschwächten Männer Kräfte sparen wollten, kam die Körperpflege oft zu kurz: die meisten befeuchteten sich lediglich den nackten Oberkörper. Der Boden der dunklen, zugigen Waschräume war schlammbedeckt. Das Wasser beschreibt Primo Levi als ungenießbar, abscheulich riechend und oft stundenlang aussetzend; wer es trank, musste mit Krankheiten rechnen. Einmal in der Woche sollten die Häftlinge duschen, aber nur einmal pro Monat erhielten sie ein Stückchen sandiger, fettfreier Seife, das sofort zerfiel. Weitere Pflegeprodukte oder -geräte (etwa Zahnbürsten) standen den Häftlingen nicht zur Verfügung. Darüber hinaus kam es in Waschbaracken oft zu Diebstählen. Nur „Prominente“ hatten weitgehend unbeschränkten Zugang zu Seife und Duschen und zudem eigene Waschräume. Im KZ Buna/Monowitz existierten sechs Toilettengebäude, sog. „Latrinen“. Dies waren einfache Plumpsklos ohne Wasserspülung, die ebenfalls völlig verschmutzt waren – zu mal die Häftlinge häufig an Magen-Darm-Krankheiten litten.
Die Kleidung der Häftlinge wurde alle sechs bis acht Wochen eingesammelt und mit Dampf desinfiziert. Gewaschen wurde sie nie, geflickt nur in einzelnen Fällen; meist handelte es sich um verschmutzte Lumpen: Schlammflecken mussten von den Häftlingen selbst abgeschabt werden, „Farb-, Fett- und Rostflecken sind dagegen zulässig“[2]. Regelmäßige Rasuren mit dem einzigen Rasiermesser der Baracke trugen vor allem dazu bei, die Häftlinge der Reihe nach mit Bartflechte zu infizieren. Die Läusekontrollen führten zur Desinfizierung aller Kleidung der Bewohner eines Blocks, die diese erst am nächsten Morgen noch feucht zurückbekamen, nicht aber zu einer gründlichen Bekämpfung des Ungeziefers. Auch die Kontrollen der übrigen Vorschriften können kaum anders denn als Schikane bezeichnet werden.
Während Körperhygiene fast unmöglich wurde, und die Luft in den Baracken stickig war und nach menschlichen Ausdünstungen und dem Toiletteneimer neben der Tür roch, wurde auf die Sauberkeit derselben peinlich geachtet. Der Stubendienst schrubbte täglich den Holzboden. Die Stockbetten waren penibel gemacht. Auf den ersten Blick machte die leere Baracke einen gepflegten Eindruck.
(SP)