I.G. Farben in Liquidation von den 1950er Jahren bis 1990
(I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft in Liquidation: Bericht über die Entflechtung und Liquidation. Vorgelegt aus Anlass der ordentlichen Hauptversammlung am 27. Mai 1955. Frankfurt am Main 1955, S. 66.)
Am 21. Januar 1955 erließ die Alliierte Hohe Kommission im Einvernehmen mit der Bundesregierung das ‚I.G.-Liquidationsschlussgesetz‘[1], womit formell die Rechtsnachfolgerin der I.G. entstand: die I.G. Farbenindustrie AG in Liquidation (i.L.). Ihr erster Aufsichtsratsvorsitzender wurde der vormalige I.G.-Vorstand August von Knieriem.
Die Abwicklungsgesellschaft sollte vor allem zwei Aufgaben haben: zum einen die Sicherung der Ansprüche auf Auslandsvermögenswerte der I.G., einschließlich Vermögen in der DDR. Die Werksanlagen in der DDR wurden von den Liquidatoren auf „mehr als die Hälfte des Gesamtwertes der IG in Deutschland“[2] beziffert. Deshalb erschien ihnen der Erhalt der I.G. als Rechtsperson bis zu einer Wiedervereinigung Deutschlands unerlässlich, um dann Ansprüche auf dortigen Besitz geltend machen zu können. Dann werde „den Liquidationsanteilschein-Inhabern alles zugute kommen, was einmal an Ostvermögen zurückfällt“[3]. Die Hoffnung auf Ostvermögen hielt den Wert des Liquidationsscheins an der Börse.
Zum anderen war die Befriedigung der Gläubiger des Konzerns Aufgabe der I.G. Farben i.L.. Zu diesem Zweck waren bereits 1950 von der Tripartite IG Farben Control Group (TRIFCOG) Anzeigen in der Tagespresse publiziert worden, die dazu aufforderten, noch ausstehende Forderungen gegen I.G. Farben einzureichen. Diese Aufforderung bekam der ehemalige I.G.-Zwangsarbeiter Norbert Wollheim zu Gesicht. Er war der Ansicht, dass in erster Linie die ehemaligen Zwangsarbeiter der I.G. Auschwitz noch Ansprüche auf entgangenen Arbeitslohn und Schmerzensgeld gegen I.G. Farben geltend zu machen hätten. Entsprechend verklagte er mit Hilfe seines Anwalts Henry Ormond die I.G. Farben i.L. 1951 vor dem Landgericht Frankfurt am Main in einem Zivilprozess auf Entschädigung für entgangenen Arbeitslohn. I.G. Farben i.L. lehnte jegliche Verantwortung für den Einsatz von Zwangsarbeitern ab
Ein anderer überlebender I.G.-Zwangsarbeiter, Rudolf Wachsmann, hatte vor dem US-Militärgericht in Mannheim Klage auf 500.000 DM für die erlittene Körperverletzung und 50.000 DM für vorenthaltene Löhne eingereicht. I.G. Farben i.L. schloss Ende 1953 mit Wachsmann einen Vergleich. Die I.G. zahlte Wachsmann 20.000 DM, er zog im Gegenzug seine Klage zurück.[4] So war aus Sicht der I.G. vermieden worden, „daß ein alliiertes Gericht über die Ansprüche der Häftlinge befindet, da weitere Verfahren nicht anhängig sind und die Einleitung neuer Prozesse vor einem Besatzungsgericht […] nicht mehr zulässig ist.“[5]
I.G. Farben i.L. nahm Verhandlungen mit der Conference on Jewish Material Claims against Germany (Claims Conference) über einen Vergleich im Wollheim-Verfahren auf, da es auch hier im Interesse der deutschen Wirtschaft und Politik schien, keinen gerichtlich entschiedenen Präzedenzfall für die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter/innen zu schaffen, auf den gestützt auch andere Unternehmen hätten verklagt werden können. Am Ende der Vergleichsverhandlungen wurde 1957 ein Abkommen geschlossen, nach dem die I.G. Farben i.L. der Claims Conference einmalig 27 Millionen DM zur Entschädigung der jüdischen Zwangsarbeiter der I.G. Auschwitz zahlte. Diese mussten dafür auf alle weiteren Forderungen gegen die I.G. Farben i.L. verzichten. Weitere 3 Millionen DM sollten von der I.G. Farben i.L. direkt an nicht-jüdische ehemalige Zwangsarbeiter der I.G. Auschwitz ausgezahlt werden. Ende 1961 verlangte die I.G. Farben i.L. von der Claims Conference 2 Millionen DM zurück: Es seien Ansprüche nicht-jüdischer polnischer Zwangsarbeiter zu befriedigen. Man einigte sich 1963 auf eine Rückzahlung von 750.000 DM. Allerdings hatte der Bundesgerichtshof zwischenzeitlich die Klage eines polnischen Zwangsarbeiters mit der Begründung abgelehnt, dass seine Forderung in Folge des Londoner Schuldenabkommens von 1953 bis zum Abschluss eines Friedensvertrages zwischen Deutschland und den Alliierten des Zweiten Weltkriegs suspendiert sei. Die I.G. Farben i.L. war nun auch vor Forderungen aus dieser Richtung sicher.
In den folgenden Jahrzehnten führte der – nach wie vor in Reichsmark gehandelte – I.G.-Liquidationsanteilschein ein Schattendasein an der Frankfurter Börse. Während des Kalten Krieges musste die Hoffnung auf einen baldigen Zugriff auf das ‚Ostvermögen‘ immer weiter hinausgeschoben werden. Daneben sah sich I.G. Farben i.L. seit den 1980er Jahren immer wieder mit Protesten von Holocaust-Überlebenden, kritischen Aktionären und antifaschistischen Organisationen gegen ihre fortdauernde Existenz konfrontiert. Mit dem Beitritt der DDR zum Staatsgebiet der BRD 1990 sah die I.G. Farben i.L. neue Chancen gekommen, in den folgenden Jahren ihre alten Ansprüche in Ostdeutschland geltend zu machen.
(MN/PEH)