Glossar

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I.G. Farben setzt die NS-Rassenpolitik in ihren Betrieben um

Viele vom rassistischen Antisemitismus des NS zu Juden erklärte Manager und Mitarbeiter/innen des Konzerns betrachteten sich zu Recht als Eckpfeiler des Unternehmens. Vor allem im Kontext von Agfa und Cassella hatten Juden den Chemie-Trust I.G. Farben und seine Einzelbetriebe mitbegründet und aufgebaut. Sie standen vor wie nach 1933 loyal zu den strategischen Optionen der Konzernführung. Diese Menschen wurde nun aufgrund ihrer öffentlichen Stigmatisierung zum „Problemfall“ für die Konzernleitung, weil sie einerseits der Umsetzung ihrer wirtschaftspolitischen Strategie aus Anpassung an das NS-Regime und der aktiven Teilhabe am Aufrüstungsgeschäft im Weg standen, andererseits aber ihre Entlassung und Vertreibung das Auslandsgeschäft schädigte und eine mögliche Emigration zu einem unkontrollierten Transfer von technologischem Know-how führte.

 

Was das Management betraf, so wurden im Jahr 1933 verschiedene Varianten der „Problemlösung“ nebeneinander gehandhabt. Ernst Schwarz (1884–1957), der Leiter der Sozialkommission, wurde in die USA versetzt und avancierte dort zu einem führenden Manager der I.G.-Holdinggesellschaft. Das ordentliche Vorstandsmitglied Kurt Hans Mayer entzog sich den zu erwartenden Pressionen durch seinen Rücktritt und emigrierte in die Schweiz. Auch der Bankier Max M. Warburg räumte seinen Aufsichtsratsposten ganz im Sinn der Konzernführung unauffällig und geräuschlos. Die „Abwicklung“ seines Aufsichtsratskollegen Fritz Haber gelang dagegen weniger glatt. Ihm versagte die Konzernführung nicht nur ihre Unterstützung, sondern ließ ihm sogar über einen Rechtsanwalt mitteilen, dass sie „alle Beziehungen“ zu ihm „lösen“ würde, wenn er „in eine Hochschule eines Landes übersiedele, welches im Weltkriege zu unseren Feinden gehört hat.“[1] In den Jahren 1935 und 1936 wurden die hoch angesehenen I.G.-Mitbegründer Arthur von Weinberg, Carl von Weinberg und Ernst von Simson gezwungen, ihre Verwaltungsratsmandate niederzulegen und sich 1937 zusammen mit Otto von Mendelssohn-Bartholdy auch aus dem Aufsichtsrat zurückziehen. Als letzter zum „Nichtarier“ gestempelter Mandatsträger wurde schließlich Richard Merton aus dem Aufsichtsrat entfernt, nachdem der Zentral-Ausschuss am 25. April 1938 in einer nicht protokollierten Sitzung die Entlassung aller „jüdischen Mitarbeiter“ beschlossen hatte.[2]

(GK; erstellt auf der Grundlage von Karl Heinz Roth: Die I.G. Farbenindustrie AG von 1933 bis 1939)



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[pdf] Karl Heinz Roth_Die IG Farbenindustrie AG von 1933 bis 1939

 

Quelle

Fritz Haber an Max Planck, o.D., MPG-Archiv, V. Abteilung, Rep. 13, Nr. 944.

 

Literatur

Gill, Manfred / Löhnert, Peter: Jüdische Chemiker aus Dessau in der Filmfabrik Wolfen. Dessau: Moses-Mendelssohn-Gesellschaft Dessau e.V. 1996.

Gill, Manfred / Löhnert, Peter: The relationship of I.G. Farben’s Agfa Filmfabrik Wolfen to it’s Jewish scientists and to scientists married to Jews, 1933–1939. In: John E. Lesch (Hg.): The German Chemical Industry in the Twentieth Century. Dordrecht: Kluwer 2000, S. 123–145.

Heine, Jens Ulrich: Verstand & Schicksal. Die Männer der I.G. Farbenindustrie A.G. Weinheim: VCH Verlagsgesellschaft 1990.

Stolleis, Michael: Wissenschaftler, Unternehmer, Mäzen, NS-Opfer. Zur Erinnerung an Arthur von Weinberg (1860–1943). In: Forschung Frankfurt, 1/2007, S. 94–98, http://www.forschung-frankfurt.uni-frankfurt.de/2007/Forschung_Frankfurt_2007/Wissenschaftler__Unternehmer__Maezen__NS-Opfer_20_.pdf (Zugriff am 19.8.2008).

[1] Fritz Haber an Max Planck, o.D., MPG-Archiv, V. Abteilung, Rep. 13, Nr. 944.

[2] Unternehmensarchiv der Filmfabrik Wolfen, Nr. A 1656, Bl. 348, ref. n. Manfred Gill / Peter Löhnert: Jüdische Chemiker aus Dessau in der Filmfabrik Wolfen. Dessau: Moses-Mendelssohn-Gesellschaft Dessau e.V. 1996, S. 32.