Glossar

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Imo Moszkowicz (1925–2011)

Imo Moszkowicz beim Überlebendentreffen in Frankfurt am Main, 2004
'© Fritz Bauer Institut
Imo Moszkowicz beim Überlebendentreffen in Frankfurt am Main, 2004
© Fritz Bauer Institut

 a  „Mir wurde klar, dass man mit uns umging wie mit Wesen, die eigentlich bereits tot sind. Und die, die uns peinigten, um durch ihr Wohlverhalten ihre Atemzeit zu verlängern, zu verbessern gar, gingen mit dieser Gegebenheit ohne jede mitmenschliche Rücksicht um. (Wen der große Jammer packte, der verlor rapide seine Persönlichkeit.)“

(Imo Moszkowicz: Der grauende Morgen. Eine Autobiographie. München: Knaur 1998, S. 111–112.)

 

 b  „Der Tod hatte für uns seine Normalität verloren, weil er uns so maßlos degradiert hatte, dieser eigentliche Beherrscher der Welt. Erniedrigung – ja das war der Vorgang, der keinerlei menschliches Verhalten mehr zuließ, der die Seele färbte und den Charakter, der rohe Narben ließ, die niemals heilen wollen. (Selbst die alle Wunden heilende Zeit kann hier keine Hilfe leisten.)“

(Imo Moszkowicz: Der grauende Morgen. Eine Autobiographie. München: Knaur 1998, S. 152.)

 

 c  „Gern gebe ich zu, dass ich süchtig  auf dieses Vergessenkönnen bin, das lediglich in den Jahren nicht wirksam war, als mir – nach durchzitterter Nacht – endlich der Morgen graute, der einen schönen Tag signalisierte; da drängte sich die Vergangenheit mächtig in meine Träume und duldete nicht, dass ich nichts mehr von ihr wissen wollte, beutelte mein tiefstes Unterbewusstsein, wohin ich glaubte die Fetzen meiner Vergangenheit verkatzelt zu haben, vor jeglichem Zugriff sicher.“

(Imo Moszkowicz: Der grauende Morgen. Eine Autobiographie. München: Knaur 1998, S. 16–17.)

 

 d  „Die Fratze des Hasses weidete sich an unserer beschämenden Situation, in die uns eine Staatsgewalt, ein Volkswille, angespornt von einem vielhundertjährigen Antisemitismus, gezogen hatte. Und seit frühester Kindheit rumort in meinem Hirn die Frage: Warum?“

(Imo Moszkowicz: Der grauende Morgen. Eine Autobiographie. München: Knaur 1998, S. 18.)

 

„(Selbst ein Befragen, ob sich diese und jene Situation so ereignet habe oder so, würde mich gesundheitlich an den Rand meiner Möglichkeiten bringen.) Ich kann die Zeit der Lager nicht wieder aufreißen lassen, ich muss vergessen, sonst krepiere ich noch nachträglich daran.

Schon diese Zeilen sind genug um mir die Nachtruhe zu rauben. Finden Sie bitte für mich eine Entschuldigung wenn ich der Gerechtigkeit in diesen Prozessen keine Chance einräume; ein `Lebenslänglich´ kann keine Sühne sein.“

(Zitiert aus: Brief von Imo Moszkowicz an Dr. Wenzky vom 12.10.1960.)

„Wir waren wie Galeerensträflinge ‚aneinandergeschmiedet‘, und es waren diese Körper, diese Hände, diese Augen, damals im Lager; und jetzt sind es ja immer noch die gleichen Hände und Augen, durch Zivilisation und Freiheit und Altern zwar verändert, aber durch Auschwitz ‚bestrahlt‘. Da wird die Vergangenheit körperlich nah. Zu nah. Unerträglich nah.“[1]

 

Imo Moszkowicz wurde am 27. Juli 1925 in Ahlen geboren. Dort hatte sich sein Vater Benjamin Moszkowicz, im Ersten Weltkrieg russischer Soldat, nach Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft als Schuhmacher niedergelassen. Benjamin und Chaja Moszkowicz hatten fünf Söhne und zwei Töchter; die Familie lebte in sehr ärmlichen Verhältnissen. Der Vater wanderte Anfang 1938 nach Argentinien aus, der Rest der Familie sollte am 10. November 1938 nachkommen, allerdings wurden ihre Wohnung und die Papiere für die Ausreise in der „Reichskristallnacht“ zerstört. Im Herbst 1939 machten die Nationalsozialisten die Stadt Ahlen „judenrein“, Familie Moszkowicz musste nach Essen ziehen. Dort mussten Imo und zwei seiner älteren Brüder, Hermann und David, ab 1940 Zwangsarbeit leisten. Diese bewahrte sie davor, zusammen mit ihrer Mutter und den vier anderen Geschwistern 1941 nach Auschwitz deportiert zu werden. David wurde nach einem illegalen Kinobesuch denunziert, deportiert und bei der Ankunft in Birkenau erschossen. Imo und Hermann wurden 1942 als letzte ihrer Familie nach Auschwitz deportiert.

 

Imo Moszkowicz wurde ins KZ Buna/Monowitz eingewiesen  a , wo er nach harter Arbeit im Zementkommando und im Zimmermannskommando in ein besseres Kommando wechseln konnte. Dort lernte er einen Kammersänger kennen und meldete sich als Künstler für einen „Bunten Abend“ zur Unterhaltung der Lager-SS und prominenter Häftlinge, auf dem er seine erste Erfahrung als Schauspieler machte.

 

Am 18. Januar 1945 wurde Imo Moszkowicz auf den Todesmarsch getrieben. Schließlich gelangten die Häftlinge in ein Nebenlager des KZ Groß-Rosen, wo sie in einen Stollen gesperrt wurden, in dem Gas austrat. In der folgenden Massenpanik kamen viele Häftlinge zu Tode, Imo überlebte knapp.  b  Im Chaos des Flüchtlingsstroms nach Westen sonderte sich Imo Moszkowicz mit anderen Häftlingen ab, verkleidete sich als Wehrmachtssoldat und wurde Anfang Mai 1945 in Liberec von der Roten Armee befreit. Er kehrte als einziger Überlebender seiner Familie nach Ahlen zurück. 

 

1948 begann er als Regieassistent bei Gustaf Gründgens in Düsseldorf zu arbeiten.  c  Bei seiner Regietätigkeit lernte er in Südamerika seine Frau Renate kennen. 1961 inszenierte er die erste Aufführung eines zeitgenössischen deutschsprachigen Autors in Israel – Zeit der Schuldlosen von Siegfried Lenz. In der BRD führte er auch bei vielen bekannten Filmproduktionen, wie Max der Taschendieb (BRD 1962) oder den Pumuckl-Filmen (BRD 1978; D 1999) Regie. 1998 veröffentlichte Imo Moszkowicz seine Autobiographie Der grauende Morgen, in der er darstellt, wie die Erinnerung an das KZ Buna/Monowitz immer wieder ungebeten in sein späteres Leben einbricht.  d  Imo Moszkowicz starb am 11. Januar 2011 in Ottobrunn bei München.

(LG)



Literatur

Moszkowicz, Imo: Der grauende Morgen. Eine Autobiographie. München: Knaur 1998.

[1] Imo Moszkowicz: Der grauende Morgen. Eine Autobiographie. München: Knaur 1998, S. 176.