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Plädoyer Henry Ormonds in 1. Instanz

Henry Ormond, Norbert Wollheims Anwalt'© Fritz Bauer Institut (Bestand Thomas Ormond)
Henry Ormond, Norbert Wollheims Anwalt
© Fritz Bauer Institut (Bestand Thomas Ormond)

 a  „Es darf nicht sein, dass die völlig klaren Rechtsgrundlagen dieses Prozesses von interessierter Seite verwischt, verschleiert, vernebelt werden […] Und es darf schliesslich nicht sein, dass hier der IG Farben-Konzern für Dinge, die er selbst und niemand anders zu verantworten hat, die Haftung der Deutschen Bundesrepublik und damit der Allgemeinheit zuschieben will.“

(Henry Ormond, Plädoyer in 1. Instanz, 11.5.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Anlage-Bd. II, 49 Seiten, hier S. 1–2.)

 

 b  „Wie oft klangen diese Bekundungen angesichts der vorausgegangenen Beschreibungen der Häftlingszeugen wie bitterer Hohn gegenüber dem Leiden dieser Unglücklichen, beissender Sarkasmus und teuflischer Zynismus bei diesem für normale Begriffe unvorstellbarem Geschehen. Andere unter diesen einst leitenden Männern der IG hinterliessen den Eindruck, als ob sie trotz der dazwischenliegenden Jahre, trotz allem, was sie ja in der Zwischenzeit zweifellos erfahren haben, die gleichen Herrenmenschen geblieben sind, die sie damals waren, und dass sie die gleiche, harte, mitleidslose und unmenschliche Einstellung ihren damaligen Fronsklaven gegenüber hatten.“

(Henry Ormond, Plädoyer in 1. Instanz, 11.5.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Anlage-Bd. II, 49 Seiten, hier S. 5.)

 

 c  „Diese Menschen, die die sich ohne Ausnahme die grösste Mühe gaben, ihre Aussagen so vorsichtig wie möglich zu machen und nur das zu sagen, was sie verantworten konnten, die, obwohl das Gegenteil so verständlich gewesen wäre, keinerlei Hasseinstellung zeigten, die dankbar hervorhoben, wenn irgendein Meister ihnen Gutes getan hatte und menschlich zu ihnen gewesen war […] sie waren geradezu vor den Kopf gestossen über die Bekundungen der IG-Zeugen.“

(Henry Ormond, Plädoyer in 1. Instanz, 11.5.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Anlage-Bd. II, 49 Seiten, hier S. 7.)

 

 d  „[…] bestand doch sicherlich kein Anlass und noch weniger der Grund des sogenannten übergesetzlichen Notstandes für sie, die Konzentrationslagerhäftlinge so unmenschlich und brutal zu behandeln, und ihre Lage, die an sich schon verzweifelt genug war, zu verschlimmern.“

(Henry Ormond, Plädoyer in 1. Instanz, 11.5.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Anlage-Bd. II, 49 Seiten, hier S. 9.)

Norbert Wollheims Anwalt Henry Ormond machte sein Plädoyer an einem Zeitungsartikel des Handelsblattes fest, in dem eine finanzielle Verantwortlichkeit der Industrie für Verbrechen während des Dritten Reiches abgestritten und auf die politische ‚Lösung‘, d.h. bereits geschlossene „Entschädigungs-Abkommen“ verwiesen wurde. Ormond widersprach dem vehement  a  und betonte ausdrücklich, dass Wollheim einen Zivilprozess auf der Basis deutschen Zivilrechts und nicht etwa einen Strafprozess auf „dem Sonderrecht der Wiedergutmachung“[1] geführt habe – nicht um Siegerjustiz ginge es, sondern um Schadensersatz auf der Grundlage des BGB.

 

Ormond rekapitulierte anschließend die Zeugen und ihre Aussagen; den Zeugen der Verteidigung warf er in diesem Zusammenhang Voreingenommenheit und Unbelehrbarkeit vor.  b  Dieser Charakterisierung stellte Ormond die um möglichst nüchterne Darstellung bemühten Kläger-Zeugen entgegen.  c  In seiner effektvollen Kontrastierung mussten die Aussagen der I.G.-Zeugen zu den Lebensbedingungen der Häftlinge unglaubwürdig und schwach wirken im Vergleich zu denen der Überlebenden. Ormond führte außerdem aus, dass die Behauptung der I.G. Farben, sie sei zum Einsatz von Zwangsarbeitern gezwungen worden, erwiesenermaßen falsch sei, mehr noch: die I.G. Farben sei für die Zustände auf der Baustelle direkt verantwortlich gewesen.  d 

 

Wollheims Anwalt stellte weiterhin sehr detailliert die Aussagen der Klägerseite den Aussagen der I.G.-Zeugen gegenüber und entkräftete auf diese Art die beschönigte Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen im KZ Buna/Monowitz seitens der I.G. Farben: „Es bleibt das traurige Verdienst dieses weltumspannenden pharmazeutisch-chemischen Grosskonzerns, dass unter seiner Herrschaft der Tod im Werk und Lager und im Krankenbau Monowitz reiche Ernte hielt.“[2]

 

Der zweite Teil seines Plädoyers ist die Stellungnahme Ormonds auf den letzten Schriftsatz der I.G. im Verfahren vom 11. April 1953. Dessen Widersprüche und falsche Behauptungen, dass etwa die I.G.-Angestellten nichts von den Zuständen im KZ gewusst hätten, dass die I.G. Farben zum Einsatz von Häftlingen gezwungen worden sei und dergleichen, zerpflückte Wollheims Anwalt systematisch: „Dass sie [gestorbene Häftlinge] gleichwohl ihre Arbeitsstätte im Zwangsarbeitslager Buna-Monowitz der IG Farben nicht lebend verliessen, das ist einzig und allein der Beklagten zuzuschreiben und darüber helfen ihr alle Versuche, die Schuld auf andere abzuwälzen, nicht hinweg.“[3]

 

Der Vortrag endete mit der Bitte an die Richter um ein „gerechtes Urteil im Sinne der Klage“.[4]

(SP)



Quellen

Sitzungsprotokoll 3. Zivilkammer des Landgerichts, 11.5.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. III, Bl. 422.

Henry Ormond, Plädoyer in 1. Instanz, 11.5.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Anlage-Bd. II, 49 Seiten.

 

Literatur

Rumpf, Joachim R.: Der Fall Wollheim gegen die I.G. Farbenindustrie AG in Liquidation. Dissertation, Leibniz Universität Hannover 2007.

[1] Henry Ormond, Plädoyer in 1. Instanz, 11.5.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Anlage-Bd. II, 49 Seiten, hier S. 2.

[2] Ormond, Plädoyer in 1. Instanz, S. 31.

[3] Ormond, Plädoyer in 1. Instanz, S. 44.

[4] Ormond, Plädoyer in 1. Instanz, S. 49.