Glossar

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Polnische Arbeiter bei I.G. Auschwitz

 a  Der polnische Historiker Piotr Setkiewicz schildert die Kontrollvorschriften der Gestapo folgendermaßen: „Ein polnischer, bei Buna eingestellter Arbeiter, welcher aus Monowitz nach Hause fahren wollte, musste die Einwilligung sowohl seines Vorgesetzten, als auch der Polizeibehörden erhalten. Er konnte selbst keine Fahrkarte kaufen, sondern musste dies mittels eines dazu von der Fabrik bestimmten Arbeiters tun. Auf dem Bahnhof in Auschwitz war er überdies dazu verpflichtet, bei einer von Polizisten, Wächtern des Werkschutzes und von dafür von der Fabrik bestimmten Personen durchgeführten Kontrolle die erforderlichen Dokumente vorzuweisen. […] Im Falle einer Verspätung zur Arbeit erachtete man einen 28-tägigen Aufenthalt im Arbeitserziehungslager als Mindeststrafe.“

(Piotr Setkiewicz: Ausgewählte Probleme aus der Geschichte des IG Werkes Auschwitz. In: Hefte von Auschwitz 22 (2002), S. 7–147, hier S. 115.)

 

 b  „Ich sehe vor meinen Augen das Schauspiel der polnischen Handwerker, die ihr Landbrot und ihren Speck auspacken. Mit Messern schneiden sie Würfel vom einen wie vom anderen ab, schieben sie in riesigen Stücken in sich hinein und kauen sie geräuschvoll. Die Blicke der armen, verhungerten Teufel folgen ihren Bewegungen. Das muß ihnen bewußt sein. Sie tun aber so, als merkten sie nichts. Für sie existieren wir nicht. Wir gehören nicht zur gleichen Spezies. Wir sind die Logiergäste eines Zoos, in dem es verboten ist, die Tiere zu füttern.“

(Paul Steinberg: Chronik aus einer dunklen Welt. Ein Bericht. Aus dem Französischen von Moshe Kahn. München: Hanser 1998, S. 72.)

Polen bildeten die größte Gruppe ‚ausländischer‘ Arbeiter auf der Baustelle der I.G. Farben, im März 1944 waren 7.700 von ihnen bei der I.G. Auschwitz beschäftigt. Zum größeren Teil waren sie als zivile Arbeitskräfte gekommen und in Barackenlagern in Fabriknähe untergebracht. Ein Teil war jedoch als Zwangsarbeiter bei Razzien verschleppt worden und im sogenannten „Zwangsarbeiterlager III-Teichgrund“ (Zwangsarbeiterlager Nummer 50 für Polen) untergebracht. Hier lebten sie bis zur Auflösung des Lagers am 10. März 1944 unter schweren Bedingungen (geringe Essensrationen, Enge, schlechte sanitäre Ausstattung). Danach erhielten die polnischen Inhaftierten „Arbeiterausweise der I.G., das Recht auf Belohnung und das Verlassen der Baracken in der arbeitsfreien Zeit“[1], waren also den polnischen Zivilarbeitern gleichgestellt.

 

Die Zivilarbeiter stammten aus ganz Polen: Eine große Zahl kam zur Arbeit aus Auschwitz oder den benachbarten Dörfern, andere stammten von weiter her und kamen in bereitgestellten Barackenlagern unter. Die meisten waren von den Arbeitsämtern zugewiesen worden und hatten gehofft, auf diese Weise der Verschleppung zur Zwangsarbeit nach Deutschland entgehen zu können.

 

Polnische Arbeiter wurden als ‚Arbeiter zweiter Kategorie‘ behandelt: Die deutsche Belegschaft wurde auf Betriebsversammlungen instruiert, gegenüber Polen und anderen Ausländern Distanz zu wahren. Die polnischen Arbeiter erhielten niedrigere Löhne, geringere Lebensmittelrationen in schlechterer Qualität, weniger Kleidung und hatten höhere Abgaben zu zahlen. Sozialleistungen oder gar kulturelle Angebote erhielten Polen nicht Die I.G. Auschwitz finanzierte ihnen „im Rahmen ihrer sozialen Tätigkeiten nur den Bau eines Bordells“[2]. Im Krankheitsfall wurden sie seltener behandelt, die deutschen Ärzte sahen sie oftmals als Simulanten an und weigerten sich, polnische Arbeiter krank zu schreiben. Zusätzliche von der Gestapo in Kattowitz im April 1943 angeordnete Repressalien und Überwachungsmaßnahmen verhinderten, dass polnische Arbeiter zu ihren Familien reisen konnten.  a 

 

Die schwer erträglichen Arbeits- und Lebensbedingungen in Verbindung mit der grundsätzlich feindlichen Einstellung der meisten polnischen Arbeiter gegenüber der deutschen Besatzung führten zu zahlreichen Fluchten von der Baustelle: Eine I.G.-interne Statistik vom 30. September 1942 nennt 121 geflüchtete von 369 polnischen Arbeitern, von denen nur ein verschwindend geringer Prozentsatz „rückgeführt“ werden konnte.

 

Zahlreiche bei der I.G. beschäftigte polnische Arbeiter leisteten Widerstand, versuchten im Rahmen ihrer Möglichkeiten, Sabotage zu betreiben, und halfen oftmals auch den KZ-Häftlingen. In vielen Fällen galt ihre Hilfe verhafteten „Landsleuten“, also polnischen KZ-Häftlingen, denen in einzelnen Fällen auch die Flucht ermöglicht wurde. Einige Häftlinge schlossen aus dem Fehlen jeglicher Hilfeleistung  b  auf eine antisemitische Einstellung vieler Polen. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass Hilfe für jüdische Häftlinge nur unter erhöhten Schwierigkeiten möglich war: Im Gegensatz zu polnischen Häftlingen wurden sie oft besser bewacht, häufig verfügten sie über keine gemeinsame Sprache zur Verständigung, im Falle einer geglückten Flucht benötigten die jüdischen Häftlinge – meist aus dem Ausland deportiert – intensivere Unterstützung als polnische Häftlinge. Zudem standen strenge Strafen auf Fluchthilfe. Eine Ausnahme bildete der polnische Zivilarbeiter Józef Wróna, der den Häftlingen Max Drimmer und Herman Shine zur Flucht verhalf und ihnen vier Monate lang unter hohem persönlichen Risiko Unterschlupf gewährte.

 

Im Januar 1945, noch vor dem Eintreffen der Roten Armee, entkamen viele polnische Arbeiter einzeln oder in Gruppen aus ihren Barackenlagern und machten sich auf den Weg nach Hause.

(SP)



Quellen

Auszug aus Wochenbericht Nr. 70/71 für die Zeit vom 21. September bis 4. Oktober 1942, gez. Faust, NI-14514. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, Prosecution Exhibit 1993, reel 033, Bl. 363–364.

 

Literatur                                                                                                                                       

Setkiewicz, Piotr: Ausgewählte Probleme aus der Geschichte des IG Werkes Auschwitz. In: Hefte von Auschwitz, 22 (2002), S. 7–147.

Steinberg, Paul: Chronik aus einer dunklen Welt. Ein Bericht. Aus dem Französischen von Moshe Kahn. München: Hanser 1998.

[1] Piotr Setkiewicz: Ausgewählte Probleme aus der Geschichte des IG Werkes Auschwitz. In: Hefte von Auschwitz, 22 (2002), S. 7–147, hier S. 119.

[2] Setkiewicz: Ausgewählte Probleme, S. 108.