Glossar

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Primo Levi (1919–1987)

 a  „Diejenigen, die in Gefangenschaft gewesen sind […], lassen sich in zwei deutlich unterscheidbare Kategorien gruppieren, die nur in seltenen Fällen Zwischentöne aufweisen: die, die schweigen und die, die berichten. […D]ie, die sprechen, und oftmals sehr viel sprechen, folgen verschiedenartigen Antrieben […] Sie sprechen, weil sie wissen, daß sie Zeugen eines Vorgangs von weltweiten Dimensionen sind, der das Jahrhundert erschütterte. […] Aber sie sprechen, genauer gesagt: wir sprechen (ich kann die erste Peron Mehrzahl verwenden, denn ich gehöre nicht zu den Schweigsamen) auch deshalb, weil wir dazu aufgefordert werden.“

(Primo Levi: Die Untergegangenen und die Geretteten. München/Wien: Hanser 1991, S. 153.)

„[D]as ist gerade das Charakteristikum des nazistischen Lagers – von den anderen weiß ich es nicht, weil ich sie nicht kenne, vielleicht ist es in den russischen genauso –, daß es die Persönlichkeit des Menschen innerlich wie äußerlich vernichtet, und nicht nur die des Häftlings; auch der Aufseher verliert im Lager seine Menschlichkeit.“[1]

 

Primo Levi wurde am 31. Juli 1919 in Turin geboren. Nachdem das faschistische Italien 1938 Rassegesetze nach nationalsozialistischem Vorbild proklamiert hatte, schloss er sich einer antifaschistischen Studentengruppe an. Primo Levi studierte Chemie an der Universität Turin und schloss das Studium im Juli 1941 mit der Promotion ab. Er begann, im chemischen Labor einer Asbestmine zu arbeiten, und unterstützte seine Familie und besonders seinen krebskranken Vater finanziell. 1942 wechselte Levi zu einem schweizerischen Pharmakonzern in die Diabetes-Forschung nach Mailand.

 

Im Herbst 1943 ging Primo Levi „in die Berge“, um sich einer antifaschistischen Partisanengruppe anzuschließen. Am 13. Dezember wurde er jedoch von der faschistischen Miliz verhaftet und im Januar 1944 in das Konzentrationslager Carpi-Fossoli gebracht. Von dort deportierte ihn die SS gemeinsam mit 650 Frauen, Männern und Kindern nach Auschwitz. Bei der Ankunft wurde er zur Zwangsarbeit im KZ Buna/Monowitz bestimmt.

 

Im Lager musste er zunächst mehrere Monate in Transport- und Erdarbeitkommandos arbeiten, bis er im November 1944 dem „Chemiker-Kommando“ zugeteilt wurde. Fortan konnte er in einem wettergeschützten Labor arbeiten und hatte eine Chance, den polnischen Winter zu überstehen. Im Januar 1945 erkrankte Levi an Scharlach und musste sich im Häftlingskrankenbau melden. Als die SS die Häftlinge am 18. Januar auf den Todesmarsch trieb, blieben nur die Kranken zurück. Primo Levi erlebte mit den wenigen Überlebenden von Krankheit, Hunger und fehlender Pflege die Befreiung des KZ Buna/Monowitz durch die Rote Armee am 27. Januar 1945. Er kam zunächst in ein Notaufnahmelager in Katowice, bis er im Juni 1945 seine lange Reise zurück nach Italien begann. Der Weg führte ihn durch die Ukraine nach Rumänien, Ungarn und Österreich, bis er am 19. Oktober 1945 Turin erreichte. Diese Odyssee bildete später die Grundlage für Levis autobiographischen Roman La tregua (1963; dt. Die Atempause, 1964).

 

Levi wandte sich wieder der Chemie zu und fing als Laborchemiker in der kleinen Farbenfabrik Siva an. Schon wenige Jahre später avancierte er hier zum Direktor. Mitte der fünfziger Jahre legte das renommierte Verlagshaus Einaudi Primo Levis Überlebensbericht Se questo è un uomo (1946/1958; dt. Ist das ein Mensch?, 1961) mit großem Erfolg neu auf.  a  In den kommenden Jahren publizierte Primo Levi zahlreiche Erzählungen, journalistische Betrachtungen und auch eine Übersetzung von Kafkas Der Prozeß. Doch erst 1977 kehrte Levi der chemischen Industrie den Rücken, um sich ausschließlich dem Schreiben zu widmen. Es entstanden mehrere bedeutende Romane und zahlreiche Artikel. Seinen Erinnerungen an die Vergangenheit konnte Levi nicht entkommen – Depressionen und Ängste quälten ihn bis zu seinem Freitod am 11. April 1987.

(SP)



Literatur

Levi, Primo: Si questo è un uomo. Torino: Einaudi 1958.

Levi, Primo: Ist das ein Mensch? Erinnerungen an Auschwitz. Frankfurt am Main: Fischer 1961.

Levi, Primo: La tregua. Torino: Einaudi 1963.

Levi, Primo: Die Atempause. München: dtv 1994.

Levi, Primo: Die Untergegangenen und die Geretteten. München/Wien: Hanser 1991.

Levi, Primo / Debenedetti, Leonardo: Bericht über die hygienisch-gesundheitliche Organisation des Konzentrationslagers für Juden in Monowitz (Auschwitz – Oberschlesien). In: Primo Levi: Bericht über Auschwitz. Hg. v. Philippe Mesnard. Berlin: BasisDruck 2006, S. 57–96.

Toaff, Daniel / Ascarelli, Emanuele: Rückkehr nach Auschwitz. Interview mit Primo Levi. In: Primo Levi: Bericht über Auschwitz. Hg. v. Philippe Mesnard. Berlin: BasisDruck 2006, S. 111–125.

Levi, Primo: Bericht über Auschwitz. Hg. v. Philippe Mesnard. Berlin: BasisDruck 2006.

[1] Daniel Toaff / Emanuele Ascarelli: Interview mit Primo Levi. In: Primo Levi: Bericht über Auschwitz. Hg. v. Philippe Mesnard. Berlin: BasisDruck 2006, S. 111–125, hier S. 123.