Glossar

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Die Selektion zwischen „arbeitsfähigen“ und „nicht arbeitsfähigen“ Häftlingen

Der Umgang mit den Häftlingen des KZ Buna/Monowitz basierte sowohl von Seiten der SS als auch der I.G. Farben auf dem Prinzip der Selektion: Als nicht mehr „arbeitsfähig“ beurteilte Häftlinge wurden zur Ermordung in die Gaskammern in Birkenau geschickt, die noch „Arbeitsfähigen“ mussten weiterarbeiten, bis auch sie zu „Muselmännern“ wurden und damit Gefahr liefen, einer Selektion zum Opfer zu fallen.

 

Die Selektionen wurden von SS-Ärzten vorgenommen, die dafür seit März 1943 die ausschließliche Befugnis der für die Konzentrationslager zuständigen Abteilung DIII des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes (WVHA) hatten. In den ersten Monaten des Bestehens des KZ Buna/Monowitz war für Selektionen erst der SS-Arzt Bruno Kitt (Oktober–Dezember 1942), dann bis Januar 1943 der SS-Arzt Hellmuth Vetter, ein früherer Angestellter der I.G. Farbenindustrie, verantwortlich. Von März bis Oktober 1943 war Friedrich Entress SS-Lagerarzt, Oktober–November 1943 Werner Rhode. Ihm folgte als verantwortlicher Lagerarzt für das KZ Buna/Monowitz der SS-Arzt Horst Fischer nach, der im September 1944 von Hans Wilhelm König abgelöst wurde. Fischer erkannte, dass die schlechten Lebensbedingungen im KZ Buna/Monowitz zu einem schnelleren Ende der Häftlinge führten. Doch der I.G.-Betriebsführer Walther Dürrfeld fand sich nicht bereit, daran etwas zu ändern, sondern versuchte, den Druck auf die SS zu erhöhen, immer „arbeitsfähige“ und frische Häftlinge zur Verfügung zu stellen, indem er sich höchstens noch für eine begrenzte Zeit (14 bis 21 Tage) bereit zeigte, die Tagessätze für kranke Häftlinge an die SS zu bezahlen. Aussagen von Überlebenden weisen daraufhin, dass nicht mehr als 5% der Häftlinge krank sein durften, doch sind über eine solche Vereinbarung zwischen I.G. und SS keine Dokumente erhalten. In jedem Fall reichte die Größe des Häftlingskrankenbaus nicht für die Zahl der kranken Häftlinge im Lager aus, so dass bei einer Überschreitung der Kapazitäten selektiert wurde. Für die I.G. war der Erhalt von Arbeitern nicht wichtig, da scheinbar unerschöpfliche Menschenmengen aus ganz Europa nach Auschwitz deportiert wurden.

 

Selektionen konnten auf zwei Arten ausgelöst werden: durch ein Ansteigen der Krankenzahlen, so dass diese im Häftlingskrankenbau nicht mehr aufgenommen werden konnten, oder durch Beschwerden von Vorarbeitern und Meistern bei der Arbeitseinsatzleitung der I.G. Auschwitz über die mangelnde Arbeitsleistung von Häftlingen. Dann wandte sich die Direktion an die SS-Kommandantur, welche lagerweite Selektionen veranlasste, um „den Gesamtbestand an Häftlingen auf seine Arbeitstauglichkeit zu überprüfen“[1]. Häufig fanden Selektionen unmittelbar nach Besprechungen zwischen Werksleitung und SS über die Arbeitsleistung statt.

 

Einheitliche Kriterien der Selektion gab es nicht, aber besonders gefährlich waren: „Hungerödeme, völliges Fehlen von Fettgewebe im Gesäß, Verdacht auf Tbc (die tatsächliche Infektion war in Monowitz nicht nachweisbar), Knochenbrüche und schwere Eiterungen“[2]. Das Ausmaß der Selektionen hing von der Krankenquote ab, aber auch von der Kriegslage und damit der (erwartbaren) Zahl von ‚Neuzugängen‘. Teilweise spielte der Status eines Häftlings eine Rolle; Funktionshäftlinge waren vor der Selektion relativ sicher. Die Politische Abteilung, welche die Transportlisten zusammenstellte, strich häufig nicht-jüdische Häftlinge von diesen, so dass der Anteil der jüdischen Häftlinge unter den Selektierten und Ermordeten auf etwa 100% gegen Ende des Bestehens des KZ Buna/Monowitz anstieg. In Einzelfällen konnte seine berufliche Qualifikation einen Häftling retten, da Meister oder Baufirma des Kommandos ihn als dringend benötigten Facharbeiter reklamieren konnten, doch wurde von dieser Möglichkeit nur sehr selten Gebrauch gemacht. Im Allgemeinen hatte ein einmal selektierter Häftling kaum eine Chance, dem Tod zu entgehen.

(MN)



Quellen

[Posener, Curt]: Zur Geschichte des Lagers Auschwitz-Monowitz (BUNA). Unveröffentlichtes Manuskript, undatiert, 53 Seiten. Archiv des Fritz Bauer Instituts.

Ervin Schulhof, Eidesstattliche Erklärung, 21.6.1947, NI-7967. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 74 (d), Bl. 128–133 sowie ADB 79 (d), Bl. 7–12.

 

Literatur

Setkiewicz, Piotr: Ausgewählte Probleme aus der Geschichte des IG Werkes Auschwitz. In: Hefte von Auschwitz 22 (2002), S. 7–147.

Wagner, Bernd C.: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. München: Saur 2000.

White, Joseph Robert: IG Auschwitz: The Primacy of Racial Politics. Dissertation, University of Nebraska at Lincoln, NE, 2000.

[1] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. München: Saur 2000, S. 176.

[2] Wagner: IG Auschwitz, S. 177.