Todesmarsch aus dem KZ Buna/Monowitz
(Willy Berler: Durch die Hölle. Monowitz, Auschwitz, Groß-Rosen, Buchenwald. Augsburg: Ölbaum 2003, S. 146.)
(Benny Grünfeld: A teenager in Hitler’s death camps. U. M. v. Magnus Henrekson / Olle Häger. Dallas: Benbella Books 2007, S. 55.)
Als wir einmal anhielten, zog ein Arbeiter ein Stück Brot aus seinem Brotbeutel und warf es in einen Wagen, was einen Aufruhr verursachte. Dutzende von Ausgehungerten brachten sich gegenseitig für ein paar Krumen um. Gebannt schauten die deutschen Arbeiter diesem Schauspiel zu.“
(Elie Wiesel: Die Nacht. Erinnerung und Zeugnis. Mit einer Vorrede von François Mauriac. Freiburg: Herder 1996, S. 138.)
(John Fink, Testimony, 1981 (Interview Transcription). Yad Vashem Archives, Tape Nos. 116 u. 116a, S. 24.)
(Ya’acov Handeli: A Greek Jew from Salonica Remembers. New York: Herzl 1993, S. 88.)
In Fünferreihen, im Laufschritt, die Allee führte vom Bahnhof zum Lager. Die, die mich umgaben, waren wie ich, die Seele schutzfest in den Körper gedübelt. Ein paar sind gestürzt, wieder aufgestanden, weitergelaufen. Ich weiß nicht, ob es dreihundert Meter waren oder zweitausend, man muß noch einmal hingehen und es sich ansehen. Wir sind auf einem leeren Gelände im Innern des Lagers angekommen. Später erfuhr ich, daß dies das sogenannte kleine Lager war. […]
Meine Verbände hingen mir in Fetzen auf die Schuhe herunter. Ich hielt mich nicht mehr auf den Beinen, Schwindelanfälle – und dort war es, erst dort, daß ich zum ersten- und zum letztenmal die Rampe losgelassen habe.
Ich akzeptierte meinen Tod.
Ich legte mich auf ein Grasstück, schlug meinen Mantel eng um mich, den Mantel des traurigen Clowns, und schloß meine Augen. Der Schnee bepuderte mich ganz allmählich mit weißen Blüten. Der eine oder andere Gefährte hat mich kopfschüttelnd angesehen. Jemand – ich weiß nicht, wer, vielleicht einer, dem ich im vorigen Leben eine Gefälligkeit erwiesen hatte, in Auschwitz, vielleicht sogar ein Freund aus der Zeit der Freunde – hat mich geschüttelt: ‚Nein, nein, das darfst du nicht, das darf man nicht‘, und in diesem Augenblick ist ein Buchenwald-Häftling gekommen, ein ‚Politischer‘, rotes Dreieck, und hat gesagt: ‚Aufstehen, wir werden Sie ins Warme bringen und Ihnen zu essen geben.‘“
(Paul Steinberg: Chronik aus einer dunklen Welt. Ein Bericht. Aus dem Französischen von Moshe Kahn. München: Hanser 1998, S. 144–145.)
(Ernest W. Michel: Promises to keep. One man’s Journey against incredible odds. New York: Barricade Books 1993, S. 93–94.)
Ende 1944 war in der Gegend um Auschwitz absehbar, dass sich die Front näherte: Immer deutlicher war der Geschützlärm zu hören, die Luftangriffe der Alliierten häuften sich, und auch die übrigen Meldungen des Kriegsverlaufs kündigten die Niederlage des Deutschen Reiches an.
Seit Herbst 1944 bereitete der SS-Standortälteste und Kommandant von Auschwitz I, Richard Baer, die Evakuierung von Auschwitz vor. Mitte Januar befahl Heinrich Himmler die Evakuierung der KZ im Osten. Gerüchte über mögliche Massentötungen der Häftlinge vor der Räumung hatten sich im KZ Buna/Monowitz ab Herbst 1944 verbreitet, als Überlebende aus dem KZ Majdanek von den dortigen Tötungen berichteten. Widerstandsgruppen im Lager begannen daraufhin mit den Planungen für eine Massenflucht, deren Umsetzung jedoch an Kontaktschwierigkeiten zum polnischen Widerstand scheiterte – ohne Hilfe von außerhalb war das Unterfangen nicht möglich. Am 12. Januar 1945 begann die Weichsel-Offensive der Roten Armee. Im Stammlager gab der SS-Standortälteste Richard Baer den SS-Kolonnenführern den Befehl, das Stammlager, Birkenau und das KZ Buna/Monowitz zu räumen.
Im KZ Buna/Monowitz erhielten die Häftlingsärzte des Häftlingskrankenbaus am 17. Januar 1945 den Befehl, alle „marschfähigen“ Häftlinge ins Lager zu entlassen. Nur „marschunfähige“ Häftlinge und einige Häftlingsärzte sollten zurückbleiben. Am folgenden Tag, dem 18. Januar 1945, erhielten die Häftlinge eine doppelte Brotration. Am Abend mussten sich alle 10.000 Häftlinge des KZ Buna/Monowitz auf dem Appellplatz versammeln und in Kolonnen von je 1.000 Häftlingen formieren. Die meisten besaßen nicht viel mehr als die dünne Häftlingsuniform, ihre Decke, den Essensnapf und Stoffschuhe mit Holzsohle. Diese und die folgende Nacht trieben SS-Männer die ausgemergelten Häftlinge durch tiefen Schnee
Im Anschluss an diese Transporte folgten häufig Zwangsarbeitseinsätze unter immer schlechteren Konditionen, bis der Transport weiterging. Wer den Marsch überlebte, „kam in den Konzentrationslagern des Altreichs wiederum zum Arbeitseinsatz“[1]. Die meisten Überlebenden erlebten die Befreiung völlig entkräftet in einem Lager, nur wenigen gelang es, von einem der Todesmärsche zu fliehen und sich zu den Alliierten durchzuschlagen. Einige gelangten, wie John Fink, über das KZ Mauthausen bei Linz, wo sie wegen Überfüllung des Lagers abgewiesen wurden, ins KZ Sachsenhausen
Andere wurden, nachdem der Transport im KZ Mauthausen wegen Überfüllung abgewiesen worden war, nach Nordhausen, ins KZ Mittelbau-Dora, umgeleitet, wo am 28. Januar von 4.000 Häftlingen ca. 3.500 lebend ankamen. Zwei Tage später waren weitere 600 Häftlinge tot. Die Häftlinge wurden in der unterirdischen Flugzeug- und Raketenfabrikation zur Sklavenarbeit unter unmenschlichen Bedingungen gezwungen. Viele von ihnen, etwa Benjamin Grünfeld und Ya’akov Handeli, wurden noch einmal weiter transportiert und kamen im März im KZ Bergen-Belsen an, wo die Zustände fürchterlich waren.
Andere Häftlinge wurden Ende Januar 1945 ins KZ Buchenwald transportiert, wie Julius Paltiel, Paul Steinberg und Heinz Kahn.
Wiederum andere wurden von Gleiwitz aus in Viehwaggons bis ins KZ Groß-Rosen transportiert, wo Willy Berler am 21. Januar ankam: Er beschrieb ihre Situation als „der nackten Gewalt ausgeliefert. Das Lager wird von einer Mörderbande geleitet. […] Wir müssen unentwegt um unser Leben zittern.“[2] Berler wurde kurz darauf völlig entkräftet nach tagelangem Transport ins KZ Buchenwald gebracht. Doch schaffte er es, sich vor der Evakuierung der „Judenblocks“ in die Kanalisation zu retten.
Einzelnen Häftlingen gelang es unterwegs, im Chaos der letzten Kriegstage, von der Kolonne eines der Todesmärsche zu fliehen und sich auf eigene Faust durch Deutschland in Richtung der näherrückenden Befreier durchzuschlagen: darunter Peter Wolff, Sigmund Kalinski und die Freunde Norbert Wollheim und Albert Kimmelstiel. Wollheim und Kimmelstiel hatten nach Gleiwitz marschieren müssen, waren dann in Viehwaggons über Prag und Mauthausen nach Sachsenhausen gebracht worden, von wo sie die SS vor der auf Berlin vorrückenden Roten Armee erneut auf den Todesmarsch trieb, doch konnten sie Anfang Mai in der Gegend von Schwerin entkommen. Ernest W. Michel war bereits am 18. April mit zwei Freunden die Flucht auf dem Marsch von Buchenwald gelungen.
Die wenigen zurückgebliebenen Häftlinge im KZ Buna/Monowitz wurden am 27. Januar von der Roten Armee befreit. Im Frühjahr 1945 erreichten alliierte Truppen auch die „reichsdeutschen“ Konzentrationslager: Bergen-Belsen wurde am 15. April 1945 von britischen Truppen befreit, in Buchenwald erreichte die U.S. Army das Lager am 11. April 1945, Häftlinge hatten das KZ vor Ende der Kämpfe übernommen. Sachsenhausen wurde am 22. April von der Roten Armee befreit.
(SP)