Glossar

Fahren Sie mit der Maus über ein rotes Wort im Haupttext, um den Glossareintrag für dieses Wort zu sehen.

Charles Joseph Coward (1905–1976)

„Die SS-Wachen haben getan, was ihnen die IG-Leute gesagt haben. Die IG-Leute waren die mächtigsten Leute dort und sie waren diejenigen, die regierten.“[1]

 

Charles Joseph Coward wurde 1905 in England geboren. Er trat am 16. Juni 1937 in die Britische Armee ein. Am 25. Mai 1940 geriet er bei Calais in deutsche Kriegsgefangenschaft, zu diesem Zeitpunkt hatte er den Rang eines Battery Sergeant Major inne. Er durchlief mehrere deutsche Kriegsgefangenenlager und unternahm wiederholt Ausbruchsversuche, wurde jedoch jedes Mal gefasst, bevor er den deutschen Herrschaftsbereich verlassen konnte. Vom Stalag VIII B in Lamsdorf (Łambinowice) wurde Coward im Dezember 1943 dem Arbeitskommando E715 in Auschwitz als Vertrauensmann (Man of Confidence) zugeteilt. Seine Aufgabe war es, Anliegen der britischen Kriegsgefangenen gegenüber der das Kriegsgefangenenlager bewachenden deutschen Wehrmacht zu vertreten.

 

In Auschwitz erlebte Coward den brutalen Umgang mit den Häftlingen des KZ-Buna/Monowitz auf der Baustelle der I.G. Farben und erfuhr von den Gaskammern in Birkenau. Dies veranlasste ihn zu einer Reihe von Widerstandsaktivitäten gegen die NS-Vernichtungspolitik in Auschwitz, von denen er nach dem Krieg berichtete. Allerdings finden sich sowohl in den Äußerungen anderer ehemaliger britischer Kriegsgefangener aus Auschwitz als auch in der geschichtswissenschaftlichen Forschung skeptische Einschätzungen zum möglichen Ausmaß und Erfolg der von Coward berichteten Aktivitäten.

 

Im Einzelnen berichtete Coward, dass es ihm gelungen sei, mit Hilfe des polnischen Widerstandes in der Stadt Auschwitz/Oświęcim auf dem Weg über die Baustelle Waffen an Häftlinge in Birkenau für deren Widerstandsaktivitäten zu schmuggeln. In Briefen, die er an seine Frau schickte, habe er das War Office in London über das Geschehen in Auschwitz informiert. Da diese Unterlagen bis heute nicht freigegeben sind, lässt sich ihr Inhalt nicht einschätzen. Bei Besuchen der Schweizer Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes in Auschwitz im Sommer 1944 berichtete er diesen über die Gaskammern.

 

Auf der Baustelle half Coward, wie auch andere britische Kriegsgefangene, den KZ-Häftlingen mit Essen. Gemeinsam mit seinem Freund Yitzhak Persky, dem er seine jüdische Identität unter falschem Namen zu verbergen half, habe er Häftlinge bei deren Flucht unterstützt. Coward habe auf der Baustelle wiederholt einem Deutschen, der für das Wegschaffen der Leichen verantwortlich war, 2–3 Leichen abgekauft, die er und Persky dann in einem Graben an der Straße versteckt hätten. Mit Häftlingen sei vereinbart worden, dass sie an der entsprechenden Stelle auf dem abendlichen Rückmarsch ins Lager aus der Kolonne fallen sollten, so dass an dieser Stelle später nur die Leichen gefunden werden würden. Coward und Persky hätten den Häftlingen Essen und Kleidung für die Flucht gegeben und die Leichen am Wegesrand in Position gebracht, damit sie von den deutschen Wachen gefunden wurden und so die Zahl der Häftlinge wieder „stimmte“. Coward berichtete, dies sei auch mit Selektierten auf dem Weg nach Birkenau geschehen – allerdings wurden diese zumeist mit Lastwagen und nicht zu Fuß nach Birkenau gebracht. Völlig unklar ist, wie vielen Häftlingen so die Flucht gelang. Bis heute ist von keinem Überlebenden bekannt, dass er auf diese Weise fliehen konnte.

 

Coward sprach die I.G.-Werksleitung in Auschwitz auf den schlechten Zustand der Häftlinge und die Selektionen an, bekam jedoch nur Gelächter zur Antwort. Auch sein Angebot, dass die britischen Kriegsgefangenen den Häftlingen Kleidung geben könnten, wurde abgelehnt. Auf der Baustelle erfuhr Coward von einem britischen Marinearzt – Karel Sperber –, den die Deutschen nicht als britischen Kriegsgefangenen behandelten, sondern als „Juden“ ins KZ Buna/Monowitz deportiert hatten. Coward tauschte mit einem Häftling die Kleider, um den Arzt in Monowitz zu suchen. Er verbrachte eine furchtbare Nacht in einer Häftlingsbarracke, doch gelang es ihm nicht, unter den tausenden Häftlingen den britischen Arzt ausfindig zu machen.

 

Im Dezember 1944 kam Charles Joseph Coward zurück in das Kriegsgefangenenlager Stalag VIII B. Im Januar 1945 musste er mit anderen britischen Kriegsgefangenen unter Bewachung der Wehrmacht nach Bayern marschieren, wo er befreit wurde. Coward kehrte nach London zurück. Im Rahmen des Nürnberger Prozesses gegen I.G. Farben gab Coward am 24. Juli 1947 eine eidesstattliche Erklärung ab und wurde am 13. November 1947 als Zeuge der Anklage vernommen. Am 19. Februar 1953 sagte er als Zeuge im Wollheim-Prozess aus. Coward war einer von wenigen ehemaligen britischen Kriegsgefangenen, die in den unmittelbaren Nachkriegsjahren in Großbritannien von ihren Kriegserlebnissen berichteten. An Cowards Erlebnissen orientierten Ronald Charles Payne und John William Garrod ihren Roman The Password Is Courage, erschienen 1954, verfilmt 1962.

 

Am 24. Oktober 1960 sendete die BBC über Coward eine Folge von This Is Your Life, an der auch Norbert Wollheim teilnahm. Charles Joseph Coward wurde 1965 von Yad Vashem als erster Brite mit der Auszeichnung „Gerechter unter den Völkern“ geehrt. Coward starb 1976.

(MN)



Quellen

Charles Joseph Coward, Eidesstattliche Erklärung, 24.7.1947, NI-11696. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 (e), Bl. 47–55.

Charles Joseph Coward, Zeugenvernehmung, 13.11.1947. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, Prot. (e), Bl. 3679–3691.

Charles Joseph Coward, Zeugenvernehmung, 19.2.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. II, Bl. 278–284.

 

Literatur

White, Joseph Robert: IG Auschwitz: The Primacy of Racial Politics. Dissertation, University of Nebraska at Lincoln, NE, 2000.

White, Joseph Robert: “Even in Auschwitz…Humanity Could Prevail”: British POWs and Jewish Concentration-Camp Inmates at IG Auschwitz, 1943–1945. In: Holocaust and Genocide Studies 15 (2001), H. 2, S. 266–295.

White, Joseph Robert: The British Connection to Auschwitz: Work Camp E715 and the IG Farben Chemical Plant, 1943–1945. Zuletzt geändert am 25.2.2008,  http://warandgame.blogspot.com/2008/02/british-connection-to-auschwitz-work.html (Zugriff am 18.3.2008).

[1] Charles Joseph Coward, Zeugenvernehmung, 19.02.1953. HHStAW, Abt. 460, Nr. 1424 (Wollheim gegen IG Farben), Bd. II, Bl. 278–284, hier Bl. 282.