Glossar

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Der 2. Frankfurter Auschwitz-Prozess (1965–1966)

Der Angeklagte Wilhelm Burger 
'im 2. Frankfurter Auschwitz-Prozess, 
'1965/66
'© Fritz Bauer Institut
Der Angeklagte Wilhelm Burger
im 2. Frankfurter Auschwitz-Prozess,
1965/66
© Fritz Bauer Institut
Der Angeklagte Gerhard Neubert 
'im 2. Frankfurter Auschwitz-Prozess, 
'1965/66
'© Fritz Bauer Institut
Der Angeklagte Gerhard Neubert
im 2. Frankfurter Auschwitz-Prozess,
1965/66
© Fritz Bauer Institut

Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Frankfurt am Main führte nach dem Mitte 1959 eingeleiteten Ermittlungsverfahren, das in den 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963–1965) überging, seit 1961 ein zweites Ermittlungsverfahren gegen Auschwitz-Täter durch. Geplant war ein weiterer großer Auschwitz-Prozess. Das Vorhaben ließ sich aber nicht verwirklichen. Der beträchtliche Zeitabstand zum Tatgeschehen brachte immer mehr Beweisschwierigkeiten für die Ermittler mit sich.

 

Zwei SS-Angehörige von Auschwitz, die die Strafverfolgungsbehörde bereits in das erste Auschwitz-Verfahren hatte einbeziehen wollen, sowie ein wegen Krankheit aus dem ersten Prozess ausgeschiedener Angeklagter standen im 2. Auschwitz-Prozess vor Gericht.

 

Es handelte sich um den vormaligen Leiter der Abt. Verwaltung, Wilhelm Burger, um den einstigen Mitarbeiter der Politischen Abteilung, Josef Erber, sowie um Gerhard Neubert, der im Häftlingskrankenbau des KZ Buna/Monowitz Sanitätsdienstgrad gewesen war. Gegen Neubert war im 1. Auschwitz-Prozess das Verfahren krankheitshalber abgetrennt worden. Die „Strafsache gegen Burger u.a., 4 Ks 3/63“ wurde von Dezember 1965 bis September 1966 an 63 Sitzungstagen verhandelt. Burger wurde von dem Frankfurter Schwurgericht für schuldig befunden, das Giftgas Zyklon B als Mordmittel beschafft zu haben. Hinsichtlich der subjektiven Tatseite qualifizierten die Strafrichter ihn trotz seiner zentralen Funktionsstellung als Abteilungsleiter und höherer SS-Führer bloß als Gehilfen und verurteilten ihn zu acht Jahren Zuchthaus. Den Angeklagten Erber hingegen qualifizierte das Gericht als Mittäter. Er wurde für schuldig befunden, an Rampen- und Lagerselektionen und an der Ermordung von Mitgliedern des aufständischen Sonderkommandos am 7. Oktober 1944 beteiligt gewesen zu sein. Hierbei habe Erber in Übereinstimmung mit den Haupttätern Hitler, Himmler u.a. gehandelt. Als Mörder wurde er mit lebenslangem Zuchthaus bestraft.

 

Wie Burger erachtete das Gericht auch Neubert als Gehilfen. Seine Teilnahme an Selektionen im Häftlingskrankenbau (HKB) des KZ Buna/Monowitz geschah auf Befehl eines Vorgesetzten. Der SS-Arzt ordnete meist eine Vorauswahl im HKB an, die Neubert, oft in Begleitung eines Häftlingsarztes, zu treffen hatte. Die sogenannten Vorselektionen wurden sodann vom diensthabenden SS-Arzt geprüft, bestätigt bzw. verworfen. Nach Erkenntnis des Gerichts hatte der Angeklagte bei Abwesenheit des Lagerarztes jedoch auch selbst endgültige Entscheidungen getroffen. Da er aber, so die Richter, ausschließlich auf Befehl gehandelt hatte, also kein Tätigwerden aus eigener Initiative festzustellen war, wurde seine Mitwirkung an der Tötung von Häftlingen als Beihilfe gewertet. Neubert erhielt wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord dreieinhalb Jahre Zuchthaus.

 

Der 2. Frankfurter Auschwitz-Prozess fand in der Öffentlichkeit und in den Medien bereits weniger Interesse als die „Strafsache gegen Mulka u.a.“. Seine Vorgeschichte und sein Ausgang zeigten auf, dass der Nachweis der individuellen Schuld von Auschwitz-Tätern trotz der umfassenden Sachkenntnis, die sich die Ermittler der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main angeeignet hatten, immer schwieriger wurde. Unter anderen lassen sich zwei Gründe nennen. Zeugen waren verschiedentlich nicht mehr gewillt, an den Gerichtsort Frankfurt zu kommen. Der empörende Umgang mit Opferzeugen in den Prozessen, der Ausgang der Verfahren mit oft milden Strafen sowie ihre gesundheitliche verfassung hielten Überlebende davon ab, die Last der Zeugenschaft auf sich zu nehmen und bei Gericht zu erscheinen. Der Zeugenbeweis, auf den sich die Schwurgerichte bei der Aufklärung des Verbrechenskomplexes Auschwitz meist stützen mussten, erwies sich mit dem größer werdenden Zeitabstand zum Tatgeschehen als immer weniger zuverlässig. Zeugen hatten im Verlauf mehrerer Vernehmungen sich widersprechende Aussagen gemacht. In der Hauptverhandlung konnten sie sich an Fakten nicht mehr sicher erinnern, von denen sie in oft Jahre zurück liegenden Vernehmungen noch mit großer Überzeugung berichtet hatten.

(WR)



Literatur

Dirks, Christian: Wie die DDR ihr eigenes Tribunal inszenierte. Im zweiten Frankfurter Auschwitz-Prozess wurden 1966 die Urteile gesprochen/Ost-Berlin verhandelte den I.G. Farben-Komplex parallel. In: Frankfurter Rundschau, 4.10.2001, S. 9.