Glossar

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Die Wandinschrift im Pavillon des Norbert Wollheim Memorials

Die Wandinschrift im Wollheim-Pavillon 
'© Heiner Blum
Die Wandinschrift im Wollheim-Pavillon
© Heiner Blum

 a  „Ich habe für die Menschen hier und für mich selbst an Sie eine grosse Bitte: Versäumen Sie bitte keine Gelegenheit und suchen Sie bitte jede Möglichkeit, die Menschen dort zu unterrichten, sie aufzumuntern oder besser gesagt, aufzurütteln. Wir haben vor 14 Tagen in Belsen ein Massenmeeting gehabt, das unter dem Motto stand: „6 Millionen vergaste Juden, – Welt, wo ist Dein Gewissen?“ Dieses Motto ist kennzeichnend für die Situation, in der wir zur Zeit leben. Wir sind gerettet, aber wir sind nicht befreit. Wir wissen, dass es eine Reihe jüdischer Menschen gibt, – und wir haben viele hier getroffen –, die von dem, was sie hier gesehen und erlebt haben, so tief betroffen sind, dass sie alles tun werden, um unserer Stimme Gehör zu verschaffen. Helfen Sie uns dabei! Helfen Sie uns dabei, es jedem eindringlich klar zu machen, dass wir auf vieles warten, was bisher nicht realisiert worden ist. Was sind uns heute Rationen oder Zigarettenliebesgaben oder Schokoladespenden! Gewiss, eine wertvolle Hilfe für die wir dankbar sind, aber entscheidend ist und bleibt der Wunsch, der uns doch letzten Endes die Energie und die Kraft zum Durchhalten gegeben hat, endlich einen Platz für uns zu finden. Und sollte es für die Gruppe der nur 60000 Übriggebliebenen keinen Lebensraum ausserhalb dieser blutgetränkten Erde geben?“

(Norbert Wollheim, Brief an Hermann E. Simon, 26.8.1945. USHMM, Wollheim-Nachlass, Box 9, Correspondence File, Simon Letters, S. 2.)

 

 b  „3. When, with the 8th Army Infantry Division and one of its infantry regiments, I was stationed in a place called Alt-Zachun, near Schwerin in Mecklenburg, Germany. During one of my visits with the Counter-Intelligence Section attached to the 8th Division, I met Norbert Wollheim who was then in Schwerin, and still in concentration camp clothing. He lived in a furnished room, together with two other former inmates of the Auschwitz Concentration Camp, a certain Henry Sprung and Albert Kimmelstiel. Both Sprung and Kimmelstiel have since immigrated to the United States, and are residing in the United States.

[…]

5. Together with other members of my military unit, I assisted Norbert Wollheim and a number of other former inmates of concentration camps in moving from Schwerin to Lübeck to allow them to take up residence in the British Zone of Occupation before the American and British units evacuated Mecklenburg which was to become part of the Russian Zone of Occupation. I did this because Norbert Wollheim had already decided to leave Germany and to immigrate either to Israel or to the United States.

6. During the time the 8th Infantry Division was stationed in Schwerin and its neighborhood, Norbert Wollheim assisted the work of the Intelligence Unit of the division.

7. From my own experience in May 1945, I know that Norbert Wollheim was well known to other former inmates of concentration camps who had escaped to the American-British Zones of Occupation. He was held in high regard by these other inmates because he was always anxious to help to improve the difficult situation of these displaced persons.”

(Hermann E. Simon, Affidavit für Norbert Wollheim, 13.7.1950. USHMM, Wollheim-Nachlass, Box 9, Correspondence File, Simon Letters.)

„Wir sind gerettet, aber wir sind nicht befreit.“

Norbert Wollheim, 26. August 1945

 

Dieser Satz entstammt einem Brief Norbert Wollheims an Hermann E. Simon, geschrieben in Lübeck, wo Wollheim zwischen Mai 1945 und September 1951 wohnte. Kurz nach Wollheims Befreiung in Schwerin waren die beiden einander begegnet; Simon, Staff Sergeant der U.S. Army, half Wollheim und seinen ehemaligen Mithäftlingen, nach Lübeck in der Britischen Zone zu gelangen und dort eine Wohnung zu erhalten. Er unterstützte sie auch in den folgenden Wochen dabei, wieder in ein alltägliches Leben zurückzukehren. Im Juli 1945 schied Hermann Simon aus der Armee aus und kehrte nach New York zurück, wo er als Anwalt arbeitete. Mit seinem Brief vom 26. August 1945 nahm Wollheim den Kontakt zu Simon wieder auf, nachdem sie seit dessen Abreise aus Deutschland nichts mehr voneinander gehört hatten. Wollheim berichtete ausführlich über die Lage der Überlebenden in der Britischen Zone, insbesondere im Displaced Persons (DPs) Camp Belsen, das er erst einige Tage zuvor für eine Sitzung des dortigen Komitees der befreiten Juden besucht hatte. Der Einsatz für die DPs in der britischen Zone sollte in den nächsten Jahren das Zentrum von Wollheims politischer und sozialer Arbeit bilden.

 

In seinem Brief appelliert er an Hermann Simon, die Überlebenden in Deutschland nicht zu vergessen und in jüdischen Kreisen in New York um Unterstützung für die DPs, sowohl hinsichtlich der ersehnten Auswanderung aus Deutschland als auch ihrer Lebensbedingungen, zu werben. Eindrücklich schildert Norbert Wollheim die materielle und seelische Lage der Überlebenden  a , ihre auch nach der Befreiung anhaltenden physischen und psychischen Nöte, die in dem Satz zusammenfließen: „Wir sind gerettet, aber wir sind nicht befreit.“

 

Die Befreiung durch die Alliierten hat den Überlebenden der Konzentrationslager die Rettung ihres Lebens gebracht, die Rettung vor der täglichen Todesdrohung und grausamen Willkür der Mörder, doch hat sich die Erfahrung dieser Verbrechen so tief in die Erinnerung der Überlebenden, in sie eingegraben, dass eine wirkliche Befreiung davon nicht mehr möglich war. Von den Heimsuchungen durch die Erinnerung an die Lagererfahrung und die bleibenden Verletzungen in der Nachkriegszeit, wie diese ihr weiteres Leben beeinflussen, ohne dass sie sich davon frei machen könnten, berichteten Überlebende der Konzentrations- und Vernichtungslager immer wieder. Davon wird auch in den Video-Interviews mit Überlebenden des KZ Buna/Monowitz gesprochen.

 

Norbert Wollheim versuchte in den sechs Jahren, die er nach diesem Brief noch in Deutschland blieb, den Überlebenden, so gut er konnte, beizustehen, zumindest in ihren materiellen Sorgen. Auch nach seiner Auswanderung in die USA im September 1951 setzte er sich für die Rechte der Überlebenden, vor allem auf Entschädigung, ein. Mit Hermann E. Simon verband ihn eine fortdauernde Freundschaft, wie die weiteren Briefe in Wollheims Nachlass zeigen. Simon unterstützte die Einwanderung Wollheims in die USA mit einem Affidavit, in dem er ihre Begegnung in Schwerin schilderte.  b 

(MN)



Quellen

Hermann E. Simon, Affidavit für Norbert Wollheim, 13.7.1950. USHMM, Wollheim-Nachlass, Box 9, Correspondence File, Simon Letters.

Norbert Wollheim, Brief an Hermann E. Simon, 26.8.1945. USHMM, Wollheim-Nachlass, Box 9, Correspondence File, Simon Letters.

Norbert Wollheim, Interview mit Nikolaus Creutzfeldt [Eng.], New York 1986–88 (Heinlyn Productions; produziert von Leslie C. Wolf). Archiv des Fritz Bauer Instituts, Transkript.

Norbert Wollheim, First Interview [Eng.], 10.5.1991. United States Holocaust Memorial Museum, Transkript.

Norbert Wollheim, Second Interview [Eng.], 17.5.1991. United States Holocaust Memorial Museum, Transkript.

 

Materialien

[pdf] Letter Norbert Wollheim to Herman E.Simon 26-8-1945 

[pdf] Herman E. Simons Affidavit for Norbert Wollheim