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Hans Frankenthal (1926–1999)

Fototafel von Ernst und Hans Frankenthal'© Fritz Bauer Institut
Fototafel von Ernst und Hans Frankenthal
© Fritz Bauer Institut

 a  Hans Frankenthal folgte dieser Weisung: „Ernst und ich waren nach der Befreiung in den Ort unserer Kindheit, nach Schmallenberg zurückgekehrt – wir hatten das Vermächtnis meines Vaters eingehalten. Seine letzten Worte an der Rampe in Auschwitz höre ich noch heute: ‚Ich werde das nicht überleben, ich bin zu alt. Solltet ihr überleben, geht nach Schmallenberg zurück.‘ Verflucht habe ich viele, viele Jahre diesen Satz.“

(Hans Frankenthal: Verweigerte Rückkehr. Erfahrungen nach dem Judenmord. U. M. v. Andreas Plake / Babette Quinkert / Florian Schmaltz. Frankfurt am Main: Fischer 1999, S. 95.)

„Wer bei der Arbeit zusammenbrach oder versuchte, sich zu schonen, wurde von den SS-Bewachern, Vorarbeitern und Kapos angetrieben, geschlagen oder getreten. Manche waren richtige Sadisten, die die Häftlinge einfach nur zu ihrem Spaß quälten. Die Zivilarbeiter waren nicht nur Zeugen dieser Brutalitäten – oder manchmal sogar selbst daran beteiligt –, sie wußten auch von den Vergasungen in Birkenau. Wenn in Gesprächen mit Zivilisten die Frage gestellt wurde, ob wir Hoffnung hätten, aus dem Lager wieder herauszukommen, erwiderten wir: ‚Es ist noch keiner in Auschwitz dringeblieben‘, und zitierten das Schlagwort der SS: ‚Es kommt jeder hier raus, und wenn es durch den Schornstein ist.‘ Das wußte jeder in Monowitz, die Zivilarbeiter, schien uns, nahmen das einfach so hin.“[1]

  

Hans Frankenthal wurde am 15. Juni 1926 in Schmallenberg im Sauerland als zweiter Sohn von Max und Adele Frankenthal geboren. Sein Bruder Ernst Frankenthal war zwei Jahre älter. Ihr Vater war Viehhändler, die Mutter Adele kümmerte sich um Haus und Kinder. Das Leben der Brüder spielte sich zwischen Schule, Hof und den ansässigen Vereinen ab: im Ort war die Familie geachtet, Max Frankenthal war Vize-König des örtlichen Schützenvereins. Nach 1933 wurde ihr Leben zunehmend eingeschränkt, der Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 traf den Viehhandel des Vaters hart. Er, ein „stolzer deutscher Jude“[2] und Weltkriegsteilnehmer, glaubte jedoch, dass ihm nichts passieren würde. Am 10. November 1938 wurde Max Frankenthal von der Gestapo verhaftet. Seine Ehefrau wurde gezwungen, den Besitz der Familie verdienten Nazis zu ‚verkaufen‘. Der Vater kam als gebrochener Mann aus dem KZ zurück. Im Sommer 1939 musste die Familie Frankenthal ihr ‚arisiertes‘ Haus verlassen und in die Enge eines sogenannten „Judenhauses“ in Schmallenberg umziehen.

 

Im Sommer 1940 musste Hans Frankenthal mit 14 Jahren die Schule verlassen. Er begann eine Schlosserausbildung in Dortmund, bis die Berufsschule geschlossen wurde. Gemeinsam mit seinem Vater und seinem Bruder Ernst wurde er anschließend bei unzureichender Ernährung und schlechter Unterkunft zu Schwerstarbeit im Straßenbau gezwungen. Am 26. Februar 1943 erhielten die Brüder die Anweisung, sich bei der Gestapo in Dortmund zu melden. Tags darauf trafen Hans und Ernst Frankenthal dort ihre Eltern wieder, wurden am hellichten Tag durch Dortmund abgeführt und in Viehwaggons nach Auschwitz deportiert. Bei der Ankunft am 1. März 1943 selektierte die SS nur die Söhne zur Zwangsarbeit im KZ Buna/Monowitz, die Eltern wurden direkt nach der Ankunft in den Gaskammern von Birkenau ermordet. Die letzten Worte des Vaters waren: „Ich werde das nicht überleben, ich bin zu alt. Solltet ihr überleben, geht nach Schmallenberg zurück.“[3]  a 

 

Aufgrund seiner Schlosserausbildung wurde Hans Frankenthal von den Meistern der I.G. Farben mit der Hochmontage großer Stahlträger beschäftigt. Dank der Hilfe des kommunistischen Blockältesten Eduard Besch kam Hans Frankenthal zum Stubendienst; Eduard Besch nahm ihn auch in die Maurerschule auf. Besch beauftragte ihn damit, auf der Baustelle einen Kontakt zu dem polnischen „Volksdeutschen“ Jan Krupka herzustellen. Dieser schmuggelte Briefe, später auch Kassiber des Widerstands nach draußen. Im Sommer 1944 nahmen SS-Ärzte in der Zahnstation des Häftlingskrankenbaus im KZ Buna/Monowitz medizinische Versuche vor: Sie bohrten Hans Frankenthals gesunde Backenzähne auf, um neue Zahnfüllungen zu testen. Er litt außerdem unter schlimmen Phlegmonen an den Beinen, nur durch Eduard Beschs Hilfe entging er zwei Mal den Selektionen. Am 18. Januar 1945 wurde Hans Frankenthal gemeinsam mit seinem Bruder Ernst und tausenden weiteren Häftlingen auf den Todesmarsch getrieben. Im KZ Mittelbau-Dora musste er in der Waffenproduktion arbeiten. Am 3. April 1945 gelang Hans und Ernst nach einem alliierten Luftangriff die Flucht, drei Tage später wurden sie jedoch eingefangen, der Gestapo übergeben und in das Konzentrationslager der Leunawerke der I.G. Farbenindustrie eingeliefert. Von dort wurden sie Mitte April erneut deportiert. Auf dem Transport verlor Hans Frankenthal das Bewusstsein und erwachte einige Tage nach der Befreiung durch die Rote Armee in Theresienstadt.

 

Getreu dem Wunsch des Vaters kehrten die Brüder Hans und Ernst Frankenthal nach Schmallenberg zurück. Die Nachkriegszeit war schwierig, auch weil die Schmallenberger nichts von der Vernichtung der europäischen Juden wissen wollten und den Frankenthals nicht glaubten, was sie ab und zu erzählten. Hans Frankenthal heiratete 1948 Annie Labe, das Ehepaar bekam drei Kinder.

 

Im 1. Frankfurter Auschwitz Prozess wurde Hans Frankenthal 1964 als Zeuge geladen: „[W]ir waren wirklich dankbar über diesen Prozess – endlich, nach zwanzig Jahren, wurde das erste Mal öffentlich über Auschwitz gesprochen.“[4] Hans Frankenthal übernahm Ende der 1970er Jahre eine Metzgerei und baute einen Partyservice auf. Nach seiner Pensionierung nahm er wieder aktiv am Leben der Jüdischen Gemeinde in Dortmund teil, engagierte sich als stellvertretender Vorsitzender im Auschwitz-Komitee in der Bundesrepublik und war Mitglied des Zentralrates der Juden in Deutschland. Außerdem war er Mitglied der „Kritischen Aktionäre der I.G. Farben“. Als solcher nahm er aktiv an den Protesten gegen die Aktionärsversammlungen der I.G. Farbenindustrie in Liquidation teil und trat mehrmals als Redner für die Entschädigung der Sklavenarbeiter der I.G. Farbenindustrie ein.

 

Hans Frankenthal starb am 22. Dezember 1999 in Dortmund.

(SP)

 

 



Literatur

Frankenthal, Hans: Verweigerte Rückkehr. Erfahrungen nach dem Judenmord. U. M. v. Andreas Plake / Babette Quinkert / Florian Schmaltz. Frankfurt am Main: Fischer 1999.

[1] Hans Frankenthal: Verweigerte Rückkehr. Erfahrungen nach dem Judenmord. U. M. v. Andreas Plake / Babette Quinkert / Florian Schmaltz. Frankfurt am Main: Fischer 1999, S. 58.

[2] Frankenthal: Verweigerte Rückkehr,S. 17.

[3] Frankenthal: Verweigerte Rückkehr, S. 48.

[4] Frankenthal: Verweigerte Rückkehr, S. 123.