Glossar

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Italienische „Fremdarbeiter“ bei I.G. Auschwitz

In den Jahren 1938 und 1939 nahm die Zahl der italienischen „Fremdarbeiter“ in Deutschland stetig zu. Unterbeschäftigung und hohe Arbeitslosigkeit führte insbesondere in ländlichen Gegenden Italiens zu vermehrter Abwanderung nach Deutschland. Ungewöhnlich viele junge Männer packte anfangs noch die Abenteuerlust und die Aussicht auf Freistellung vom heimischen Wehrdienst. Zwangszuweisungen zu bestimmten Arbeiten und wenig Mitspracherecht führten jedoch schnell zu schlechterer Stimmung unter den italienischen Arbeitern. Ab Mitte 1940 wurden vermehrt Anwerbungen in Italien durchgeführt. Im Frühjahr 1942 begann der Einsatz italienischer Arbeiter auf der Werksbaustelle der I.G. in Auschwitz. Die Italiener wurden damals vorwiegend für den Bau und Erweiterungen der Betriebsanlagen eingesetzt. Am 14. März 1942 hatte die I.G. Farbenindustrie direkt mit einem Konsortium von 40 italienischen Firmen aus der Faschistischen Bauunternehmerföderation (Federazione Nazionale Fascista dei Costruttori edili e imprenditori grandi) einen Vertrag geschlossen, der die Bereitstellung von 8.635 Bauarbeitern, vorwiegend Facharbeiter, für die Werksbaustellen der I.G. Farbenindustrie in Heydebreck, Blechhammer und Auschwitz vorsah. Zur I.G. Auschwitz sollten davon 1.196 Arbeitskräfte abgestellt werden.

 

Die in einem Barackenlager untergebrachten italienischen Arbeiter in Auschwitz wurden nur unzureichend mit Lebensmitteln versorgt. Daneben war es schwer, Urlaub zu bekommen, da die Deutschen befürchteten, die Arbeiter würden nicht wieder zu ihren Arbeitsstellen zurückkehren. Insbesondere in Heydebreck und Blechhammer, wo die Lage der italienischen Arbeitskräfte noch schlechter als in Auschwitz war, versuchten viele unter Vorwänden, wie Todesfällen in der Familie oder vorgetäuschten Krankheiten, zurück nach Italien zu gelangen. Regelmäßig versuchten Italiener, aus den Arbeitslagern zu fliehen. Für die I.G. Auschwitz ist nur ein einziger Fall aktenkundig: Giovanni Busicchia kam am 16. April 1942 im „Arbeitslager Auschwitz“ an, wo er einen Monat unter schwerster Arbeit und schlechter Verpflegung litt. Nachdem ihm trotz seines schlechten Gesundheitszustandes eine ärztliche Untersuchung verweigert worden war, floh er am 29. Mai 1942. Er wurde in Villach festgenommen und der italienischen Polizei übergeben, die ihn nach 80-tägiger Inhaftierung in Treviso wieder entließ.[1]

 

Deutschland erhöhte seine Forderungen nach italienischen Arbeitskräften innerhalb kürzester Zeit, zwischen Dezember 1940 und Januar 194 1, von zuerst 54.000 auf weitere 200.000 Arbeiter. Zwischen 1939 und 1945 waren insgesamt etwa 960.000 italienische Zivilarbeiter in Deutschland beschäftigt.

(BG/FS)



Literatur

Bermani, Cesare: Odyssee in Deutschland. Die alltägliche Erfahrung der italienischen „Fremdarbeiter“ im „Dritten Reich“. In: Cesare Bermani / Sergio Bologna / Brunello Mantelli: Proletarier der „Achse“. Sozialgeschichte der italienischen Fremdarbeit in NS-Deutschland 1937 bis 1943. Berlin: Akademie 1997, S. 37–252.

Mantelli, Brunello: Von der Wanderarbeit zur Deportation. Die italienischen Arbeiter in Deutschland 1938–1945. In: Ulrich Herbert (Hg.): Europa und der ‚Reichseinsatz‘. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in Deutschland 1938–1945. Essen: Klartext 1991, S. 51–89.

Mantelli, Brunello: Zwischen Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und Kriegswirtschaft. Die Anwerbung der italienischen Arbeiter für das „Dritte Reich“ und die „Achse Berlin-Rom“ 1938–1943. In: Cesare Bermani / Sergio Bologna / Brunello Mantelli: Proletarier der „Achse“. Sozialgeschichte der italienischen Fremdarbeit in NS-Deutschland 1937 bis 1943. Berlin: Akademie 1997, S. 253–391.

Setkiewicz, Piotr: Ausgewählte Probleme aus der Geschichte des IG Werkes Auschwitz. In: Hefte von Auschwitz 22 (2002), S. 7–147.

Wagner, Bernd C.: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. München: Saur 2000.

[1] Giovanni Busicchia wurde in dem Dokumentarfilm Monowitz. Ein Tatort(D/PL/I 2002, R: Alfred Jungraithmayr) über seine Zeit bei I.G. Auschwitz und die Flucht interviewt. Siehe auch Cesare Bermani: Odyssee in Deutschland. Die alltägliche Erfahrung der italienischen „Fremdarbeiter“ im „Dritten Reich“. In: Cesare Bermani / Sergio Bologna / Brunello Mantelli: Proletarier der „Achse“. Sozialgeschichte der italienischen Fremdarbeit in NS-Deutschland 1937 bis 1943. Berlin: Akademie 1997, S. 37–252, hier S. 180.