Glossar

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Lagerbordell

 a  „Nahe beim Eingang wurde eine Baracke als Bordell adaptiert, ein Zimmer für den SS-Blockführer und 10 weitere für die Prostituierten und deren Besucher. Es waren Einzelzimmer mit Bettwäsche und Bildern an den Wänden. […] Blockälteste, Kapos und Vorarbeiter hatten nun die Möglichkeit, sich für einen Bordellbesuch in der Schreibstube in eine Warteliste eintragen zu lassen und wurden vom Rapportführer für einen bestimmten Tag eingeteilt. Betrieb im Bordell war nach Arbeitsschluß oder an Sonntagnachmittagen. Beim Eingang stand ein Tisch, bei dem zumeist der Rapportführer selbst saß und auf einer Liste die Häftlingsnummern der Besucher eintrug und den 5 Mark Prämienschein abnahm. Von einem Häftlingspfleger aus dem Krankenbau bekamen die Besucher eine Injektion als Vorbeugung gegen eventuelle Krankheiten, die Zuweisung der Prostituierten erfolgte durch den SS-Mann. […] Viele – vor allem bewußte politische Häftlinge – mieden Bordellbesuche, um nicht dadurch SS-Erpressungen ausgesetzt zu werden. Manche Intrige unter Bordellbesuchern wurde gesponnen, Strafversetzungen und Auspeitschungen waren das Ergebnis der Eskapaden der Lagerprominenz.“

(Fritz Kleinmann: Überleben im KZ. In: Reinhold Gärtner / Fritz Kleinmann (Hg.): Doch der Hund will nicht krepieren… Tagebuchnotizen aus Auschwitz. Thaur: Kulturverlag 1995, S. 34–114, hier S. 88–89.)

 

 b  „Das Bordell ist ausschließlich ‚arischen Prominenten‘ reserviert, doch machen die roten Deutschen davon keinen Gebrauch. Die Institution selbst befindet sich in einem Block, der durch Stacheldraht abgegrenzt ist. Dort machen sich die grünen Herren und die Polen die Gunst der Damen, denen es an nichts mangelt, streitig. Im Bordell gibt es Alkohol, Nahrungsmittel, Wein, Kleidungsstücke und Parfüm. Der Rapportführer, dem es untersteht, legt großen Wert darauf, daß dieses Bordell gut funktioniert. Jeden Tag führt er seine Damen außerhalb des Lagers spazieren und läßt sich von ihnen ‚Papi‘ nennen.“

(Robert Waitz: Auschwitz III, Monowitz. In: Leon Poliakov / Josef Wulf (Hg.): Das Dritte Reich und die Juden. Berlin: Arani 1955, S. 267–272, hier S. 272.)

 

 c  Primo Levi schildert in seinem autobiographischen Roman Ist das ein Mensch? eine kurze Periode der Aufwertung von Prämienscheinen, welche durch „die Ablösung im Frauenblock, bedingt durch das Eintreffen eines Kontingents robuster polnischer Mädchen“ eingetreten sei. „Da nämlich der Prämienschein (für Kriminelle und Politische, nicht aber für Juden, die im Übrigen unter der Enthaltsamkeit nicht leiden) zu einem Besuch im Frauenblock berechtigt, tätigten die Interessenten aktive und rasche Ankäufe; daher die Wiederaufwertung, die allerdings nicht lange anhielt.“

(Primo Levi: Ist das ein Mensch? Erinnerungen an Auschwitz. Frankfurt am Main: Fischer 1961, S. 84.)

Neben der Einführung von Prämienscheinen hatte die I.G. Gefallen an der Idee eines Lagerbordells  a  gefunden: Behörden und Fabrikleitung legten „größten Wert auf das Bestehen einer derartigen Institution im Lager, und wie es sich aus deren umfangreicher Korrespondenz ergibt, behandelten sie diese als einen wichtigen Faktor zur Erhöhung der Häftlingsproduktivität“[1]. Ende 1943 wurde im KZ Buna/Monowitz ein von der I.G.-Leitung euphemistisch als „Häftlingssonderbau“ oder „Frauenhaus“ bezeichnetes Bordell eröffnet.

 

Es bestand aus einer durch einen Stacheldrahtzaun abgetrennten Baracke auf dem Lagergelände, in der in der Regel 10 bis 20 weibliche Häftlinge (vor allem Polinnen) zur Prostitution gezwungen wurden. Das Lagerbordell war drei Abende in der Woche geöffnet; in dieser Zeit „folgen sich die Liebhaber im Abstand von 20 Minuten nach einem vorher festgelegten Stundenplan, und ein arischer Arzt steht mit einer Kabine für Vorbeugungsmaßnahmen zur Verfügung“[2]. Zum Lagerbordell hatten Häftlinge höchstens einmal in der Woche Zugang. Sie mussten den Gegenwert von zwei Reichsmark für diese „Dienstleistung“ bezahlen, wovon einen Teil die zwangsprostituierten Frauen und einen Teil die Aufseherin des Bordells erhielt; der verbleibende Betrag gingen an das SS‑Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt. Diese „Vergünstigung“ kam nach Aussage des Monowitz-Überlebenden Robert Waitz nur einer ausgewählten Gruppe von Funktionshäftlingen zu Gute.  b 

 

Für Juden waren keine Bordellbesuche vorgesehen, weil dies gegen die NS-Gesetze zur sogenannten „Rassenschande“, dem Verbot des Geschlechtsverkehrs zwischen Juden und Nicht-Juden, verstoßen hätte. Davon abgesehen waren die meisten jüdischen Häftlinge viel zu entkräftet, um an sexuelle Bedürfnisse zu denken. Entsprechend führte die Eröffnung des Lagerbordells auch nicht zu einer nennenswerten Steigerung der Arbeitsleistung der Häftlinge.

 

Die Zwangsprostituierten wurden in unregelmäßigen Abständen ausgewechselt  c , die Erschöpften nach Birkenau „überstellt“. Die letzte Gruppe Frauen wurde gemeinsam mit den übrigen Häftlingen der Auschwitz-Lager im Januar 1945 auf den Todesmarsch getrieben. Über ihren Verbleib und ihre Erfahrungen ist nichts bekannt.

(SP)



Literatur

Alakus, Baris/ Kniefacz, Katharina / Vorberg, Robert: Sex-Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Wien: Mandelbaum 2006.

Kleinmann, Fritz: Überleben im KZ. In: Reinhold Gärtner / Fritz Kleinmann (Hg.): Doch der Hund will nicht krepieren… Tagebuchnotizen aus Auschwitz. Thaur: Kulturverlag 1995, S. 34–114.

Levi, Primo: Ist das ein Mensch? Erinnerungen an Auschwitz. Frankfurt am Main: Fischer 1961.

Setkiewicz, Piotr: Ausgewählte Probleme aus der Geschichte des IG Werkes Auschwitz. In: Hefte von Auschwitz 22 (2002), S. 7–147.

Wagner, Bernd C.: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. München: Saur 2000.

Waitz, Robert: Auschwitz III, Monowitz. In: Leon Poliakov / Josef Wulf (Hg.): Das Dritte Reich und die Juden. Berlin: Arani 1955, S. 267–272.

[1] Piotr Setkiewicz: Ausgewählte Probleme aus der Geschichte des IG Werkes Auschwitz. In: Hefte von Auschwitz 22 (2002), S. 7–147, hier S. 87.

[2] Robert Waitz: Auschwitz III, Monowitz. In: Leon Poliakov / Josef Wulf (Hg.): Das Dritte Reich und die Juden. Berlin: Arani 1955, S. 267–272, hier S. 272.