Glossar

Fahren Sie mit der Maus über ein rotes Wort im Haupttext, um den Glossareintrag für dieses Wort zu sehen.

Öffentliches Auftreten und journalistische Tätigkeit (1945–1951)

„Norbert Wollheim von der Israelitischen Gemeinde spricht auf Kundgebung der Bremer Bevölkerung am 8.5.47 gegen das Schandurteil im Behring-Prozeß“'(Originalbildbeschriftung)'© United States Holocaust Memorial Museum (Wollheim-Nachlass, Foto: Karl Stockhaus, Bremen)
„Norbert Wollheim von der Israelitischen Gemeinde spricht auf Kundgebung der Bremer Bevölkerung am 8.5.47 gegen das Schandurteil im Behring-Prozeß“
(Originalbildbeschriftung)
© United States Holocaust Memorial Museum (Wollheim-Nachlass, Foto: Karl Stockhaus, Bremen)
© United States Holocaust Memorial Museum (Wollheim-Nachlass)
© United States Holocaust Memorial Museum (Wollheim-Nachlass)

 a  „NW: All of a sudden, you know the German attitude after the war was interesting. All of them all of a sudden were resistance fighters. They had nothing to do with the Nazis. They had never served in any capacity. Certainly never participated in any misdeeds against the Jews.

Q: That was an attitude you found south Germany, west Germany, mid Germany?

NW: Everywhere. They didn’t know about it and they had suffered so much. They also suffered so much. But certainly they were all resistance fighters.“

(Norbert Wollheim, Interview mit Nikolaus Creutzfeldt [Eng.], New York 1986–88 (Heinlyn Productions; produziert von Leslie C. Wolf). Archiv des Fritz Bauer Instituts, Transkript, S. 170.)

 

 b  „‚Kann man Vertrauen zu einer Demokratie haben, die es zuläßt, daß der ehemalige Generalrichter Roeder die Widerstandskämpfer, die doch heute die einzige Ehrenrettung Deutschlands darstellen, in den Schmutz zieht und sie damit in die Verteidigungsposition drängt?‘, fragte er [Norbert Wollheim]. Bis heute habe sich die Bundesregierung noch zu keiner wirklich versöhnenden Tat gegenüber den Juden, insbesondere durch eine klare Feststellung der deutschen Verantwortung vor der Geschichte, entschließen können. Unter demonstrativer Billigung, selbst von Seiten der Staatsspitzen, würde heute wieder Künstler hervortreten, die intellektuelle Führer hätten sein sollen, stattdessen aber ihr Schaffen zu einer Vergiftung der öffentlichen Meinung mißbraucht hätten.“

(Bilanz nach sechs Jahren. Das Referat Norbert Wollheims auf der Berliner Zentralratstagung. In: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 7.9.1951, S. )

„Der Verfolger hat nicht das Recht, gleichzeitig zu vergeben. Das kann kein anderer tun als das Opfer, nämlich wir.“[1]

 

In den Jahren 1945–1951 war Norbert Wollheim nicht nur als stellvertretender Vorsitzender des Zentralkomitees der befreiten Juden in der Britischen Zone in der Arbeit für Displaced Persons und als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinden in der Britischen Zone im Wiederaufbau jüdischen Gemeindelebens in Deutschland tätig, sondern trat auch häufig als Redner und durch Zeitungsartikel in der Öffentlichkeit in Erscheinung.

 

Wollheim hielt an Gedenktagen für die Verbrechen des Nationalsozialismus Reden in Hamburg, dem Mittelpunkt der Britischen Zone, z.B. am 1. April 1948 im Gedenken an den Boykott jüdischer Geschäfte durch die Nationalsozialisten am 1. April 1933. Diese Rede wurde vom Nordwestdeutschen Rundfunk Hamburg gesendet und am 14. April 1948 auf der ersten Seite des Jüdischen Gemeindeblatts abgedruckt. Am 9. November 1948 sprach Wollheim, ebenfalls in Hamburg, zum Gedenken an das Pogrom vom 9./10. November 1938; der Text dieser Rede wurde vom Verlag „Unzer Sztyme“ des DP-Camps Bergen-Belsen veröffentlicht. Als am 24. Juni 1951 das Mahnmal der jüdischen Gemeinde Hamburg auf dem Friedhof Ohlsdorf eingeweiht wurde, sprach Wollheim dort als Vertreter des Zentralrats der Juden in Deutschland.

 

Norbert Wollheim war es wichtig, dass die NS-Verbrechen nicht ungesühnt blieben; er arbeitete in seinen offiziellen Funktionen eng mit den Britischen Besatzungsbehörden in Hamburg bei Ermittlungen gegen NS-Verbrecher zusammen. Auch trat er offen dafür ein, die NS-Verbrechen nicht zu verschweigen und nicht zu verharmlosen Es lag ihm besonders daran, zu betonen, dass sie vor allem gegen Jüdinnen und Juden gerichtet gewesen waren. So wandte er sich gegen den Kieler Oberbürgermeister Andreas Gayk, der in einer Gedenkveranstaltung am 1. September 1948 nur unspezifisch über das „unermessliche Leid“, die gefallenen Soldaten, Toten in der Heimat und „schmerzgequälte Kreatur aller Länder“ sprach,[2] und kritisierte das in dieser Art von ‚Gedenkreden‘ herrschende „aktive Beschweigen von Juden“[3]. Folgerichtig sagte Wollheim sowohl im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben als auch im Harlan-Prozess aus, doch zeigte er sich von der Rechtsprechung enttäuscht, wie er am 17. Juni 1949 in der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland deutlich machte. Zum Harlan-Prozess hatte er sogar an einer Materialsammlung über den NS-Filmregisseur und seinen antisemitischen Film Jud Süß (D 1940) mitgearbeitet.[4] Die Haltung vieler Deutscher in der Nachkriegszeit, ihr immer wieder deutlich zutage tretender Antisemitismus, die Selbstwahrnehmung als ‚Opfer‘  a  und neo-nationalsozialistische Umtriebe trugen mit dazu bei, dass Wollheim Deutschland verließ. Seine Kritik am Nachkriegsdeutschland und Warnung vor dem herrschenden Nationalismus trat noch einmal deutlich in Wollheims Bilanz seiner Nachkriegstätigkeit zutage, die er auf der Berliner Zentralratstagung im Sommer 1951 zog, referiert in der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland vom 7. September 1951.  b 

 

In den Jahren 1948/1949 publizierte Norbert Wollheim regelmäßig an prominenter Stelle Artikel im Jüdischen Gemeindeblatt / Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, häufig als Aufmacher oder Kolumne auf der Titelseite. Sein Schreiben kennt dabei drei Schwerpunkte: Zum ersten die Arbeit in den jüdischen Organisationen; hier sind Wollheims Artikel nicht berichtend, sondern programmatisch, wie sich deutlich an seinem Artikel vom 23. Juni 1948 über den Jüdischen Weltkongress im Hinblick auf dessen 2. Kongress in Montreux einige Tage später bzw. an seinen Ausführungen zur Organisation jüdischen Lebens in Deutschland angesichts der Gründung der BRD zeigt, unter dem Titel „Wo stehen wir?“ am 29. Juli 1949 erschienen. Hierher gehören auch Artikel über aus Deutschland emigrierende Mitglieder des Zentralkomitees der befreiten Juden in der Britischen Zone (11. März 1949, 17. Juni 1949) und eine Würdigung Leo Baecks zu dessen 75. Geburtstag (22. Mai 1948). Zum zweiten thematisiert Wollheim immer wieder den ungebrochenen deutschen Antisemitismus und Nationalismus, der den Displaced Persons entgegenschlug; zwei dieser Artikel erschienen als Aufmacher unter den Titeln „Nun singen sie wieder…“ (18. März 1949) bzw. „Hat Hitler doch gesiegt?“ (26. August 1949). Zum dritten nimmt Norbert Wollheim in mehreren Texten in den Jahren 1948 und 1949 Anteil an der Entwicklung des Staates Israel (24. September 1948, 13. Mai 1949), darunter ein am 20. Februar 1949 im Nordwestdeutschen Rundfunk gesendeter Vortrag über die Geschichte des Zionismus bis hin zur Staatsgründung Israels (25. Februar 1949). Besonderes Augenmerk legt Wollheim darauf, wie die internationale Gemeinschaft dem neuen Staat begegnet (31. Dezember 1948, 28. Januar 1949), einen positiven Höhepunkt bietet da die Aufnahme Israels in die UNO, „Das 59. Mitglied“ (20. Mai 1949). Bereits zwei Wochen zuvor hatte er Eindrücke seiner ersten Reise nach Israel hier veröffentlicht: „Ich sah Israel“ (6. Mai 1949). In den Jahren 1947/48 publizierte Wollheim auch mehrere kurze Artikel und Leserbriefe im Aufbau.

 

Noch bis unmittelbar vor seiner Emigration in die USA im September 1951 war Wollheim öffentlich präsent. So führte er bei einer Rede in Düsseldorf am 17. Januar 1951 aus, dass es keine jüdischen Deutschen oder deutschen Juden mehr gebe, sondern „nur noch Juden in Deutschland“[5], und griff so in Debatten über die Zukunft jüdischen Lebens in Deutschland ein. Über diese Rede wurde ausführlich in der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland vom 26. Januar 1951 berichtet. Gleichzeitig unterstützte Wollheim Erich Lüth, den Pressesprecher der Freien und Hansestadt Hamburg, bei dessen Aktion „Friede mit Israel“, die u.a. durch eine Radiodiskussion im Nordwestdeutschen Rundfunk am 31. August 1951 bekannt gemacht wurde, an der Norbert Wollheim teilnahm. Schon am 5. Juli 1951 hatte Wollheim bei Erich Lüth im Deutschen Presseclub Hamburg über „Deutschland, Israel und die Juden“ gesprochen; auf diese Rede hin war Lüth die Idee zu seiner Initiative gekommen.

(MN)



Quellen

Nachlass Norbert Wollheim, United States Holocaust Memorial Museum.

Norbert Wollheim, Interview mit Nikolaus Creutzfeldt [Eng.], New York 1986–88 (Heinlyn Productions; produziert von Leslie C. Wolf). Archiv des Fritz Bauer Instituts, Transkript.

Norbert Wollheim, Second Interview [Eng.], 17.5.1991. United States Holocaust Memorial Museum, Transcript.

Radiomitschnitt, Einweihung des Mahnmals der Jüdischen Gemeinde Hamburg auf dem Friedhof Ohlsdorf, 24.6.1951, NDR.

Schreiben der Jüdischen Gemeinde Essen an Norbert Wollheim, 26.2.1951. USHMM, Wollheim-Nachlass, Box 4, Private Corr. 1946–1951/1, Scan 10036–10037.

 

Zeitungsartikel von Norbert Wollheim:

Jüdisches Gemeindeblatt / Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland:

Wollheim, Norbert: Zum 1. April 1948. In: Jüdisches Gemeindeblatt für die Britische Zone, 14.4.1948, S. 1.

Wollheim, Norbert: Dr. Leo Baeck. In: Jüdisches Gemeindeblatt für die Britische Zone, 22.5.1948, S. 1.

Wollheim, Norbert: Der Jüdische Weltkongress. In: Jüdisches Gemeindeblatt für die Britische Zone, 23.6.1948, S. 1.

Wollheim, Norbert: Der Mord an Graf Bernadotte. In: Jüdisches Gemeindeblatt, 24.9.1948, S. 1–2.

Wollheim, Norbert: Dank und Abschied. In: Jüdisches Gemeindeblatt, 15.10.1948, S. 1.

Wollheim, Norbert: Abgelehnt. In: Jüdisches Gemeindeblatt, 31.12.1948, S. 1–2.

Wollheim, Norbert: Serubawel in Belsen. In: Jüdisches Gemeindeblatt, 7.1.1949, S. 1.

Wollheim, Norbert: Die Katze läßt das Mausen nicht! In: Jüdisches Gemeindeblatt, 14.1.1949, S. 4.

Wollheim, Norbert: Spiel mit dem Feuer. In: Jüdisches Gemeindeblatt, 28.1.1949, S. 1–2.

Wollheim, Norbert: Besuch in England. In: Jüdisches Gemeindeblatt, 11.2.1949, S. 5.

Wollheim, Norbert: Vom „Judenstaat“ zum jüdischen Staat. In: Jüdisches Gemeindeblatt, 25.2.1949, S. 1–2.

Wollheim, Norbert: An gute Freunde. In: Jüdisches Gemeindeblatt, 11.3.1949, S. 12.

Wollheim, Norbert: „Nun singen sie wieder…“. In: Jüdisches Gemeindeblatt, 18.3.1949, S. 1–2.

Wollheim, Norbert: Ich sah Israel. In: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 6.5.1949, S. 1.

„Vordringlichste Aufgabe: den Frieden gewinnen!“. Norbert Wollheim in Hamburg vor der in- und ausländischen Presse über Israel. In: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 6.5.1949, S. 6.

Wollheim, Norbert: An unsere Olim. In: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 13.5.1949, S. 5.

Wollheim, Norbert: Das 59. Mitglied. In: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 20.5.1949, S. 1.

Wollheim, Norbert: Grynspans Motive. In: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 3.6.1949, S. 4.

Wollheim, Norbert: …denn Harlan ist ein ehrenwerter Mann. In: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 17.6.1949, S. 7.

Wollheim, Norbert: Wir nehmen Abschied…. In: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 17.6.1949, S. 14.

Wollheim, Norbert: Wo stehen wir? In: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 29.7.1949, S. 1.

Wollheim, Norbert: Wahlen, Wähler und Gewählte. In: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 12.8.1949, S. 1.

Wollheim, Norbert: Hat Hitler doch gesiegt? In: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 26.8.1949, S. 1 u. 3.

Wollheim, Norbert: Glückwünsche zum Jahreswechsel. In: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 23.9.1949, S. 5.

Fragen, die uns bewegen! Norbert Wollheim sprach über die Problematik der jüdischen Situation. In: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 26.1.1951.

Bilanz nach sechs Jahren. Das Referat Norbert Wollheims auf der Berliner Zentralratstagung. In: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 7.9.1951.

„Repräsentant jüdischen Schicksals…“ Norbert Wollheim zum Abschied. In: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 28.9.1951.

Ehrung Norbert Wollheims. In: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 5.10.1951.

 

Aufbau:

Wollheim, Norbert: Abschiedsgruß an die Leser des „Aufbau“ [Leserbrief]. In: Aufbau, 21.2.1947, S. 19.

Wollheim, Norbert: An alle Glaubensbrüder inner- und außerhalb Deutschlands. In: Aufbau, 22.8.1947, S. 29.

Wollheim, Norbert: Noch einmal der Fall Krauß [Leserbrief]. In: Aufbau, 23.4.1948, S. 20.

Wollheim, Norbert: Deutschland-Rückkehrer [Leserbrief]. In: Aufbau, 1.10.1948, S. 11.

 

Literatur

Geis, Jael: Übrig sein – Leben "danach". Juden deutscher Herkunft in der britischen und amerikanischen Zone Deutschlands 1945–1949. Berlin: Philo 1999.

Geller, Jay Howard: Jews in Post-Holocaust Germany, 1945–1953. Cambridge/New York: Cambridge UP 2005.

Lüth, Erich: Die Friedensbitte an Israel 1951. Eine Hamburger Initiative. Mit Beiträgen von Rudolf Küstermeier, Dr. Moshe Tavor und Norbert Wollheim. Hamburg: Christians [1976].

Pardo, Herbert / Schiffner, Siegfried: Jud Süss. Historisches und juristisches Material zum Fall Veit Harlan. U. M. v. Hendrik G. van Dam / Norbert Wollheim. Hamburg: Auerdruck 1949.

Wollheim, Norbert: Zum 9. November 1948. Rede an die Jüdische Gemeinde Hamburg auf der Gedenkstunde zum zehnten Jahrestag des Beginns der Pogrome in Deutschland. Hg. v. Zentral-Komitee der befreiten Juden in der Britischen Zone. Bergen-Belsen: Unzer Sztyme 1948.

[1] Norbert Wollheim, zit. n. Fragen, die uns bewegen! Norbert Wollheim sprach über die Problematik der jüdischen Situation. In: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 26.1.1951, S.

[2]  Zit. n. Jael Geis: Übrig sein – Leben "danach". Juden deutscher Herkunft in der britischen und amerikanischen Zone Deutschlands 1945–1949. Berlin: Philo 1999, S. 308.

[3] Geis: Übrig sein, S. 307.

[4] Herbert Pardo / Siegfried Schiffner: Jud Süss. Historisches und juristisches Material zum Fall Veit Harlan. U. M. v. Hendrik G. van Dam / Norbert Wollheim. Hamburg: Auerdruck 1949.

[5] Schreiben der Jüdischen Gemeinde Essen an Norbert Wollheim, 26.2.1951. USHMM, Wollheim-Nachlass, Box 4, Private Corr. 1946–1951/1, Scan 10036–10037, hier Scan 10037.