Öffentliches Auftreten und journalistische Tätigkeit (1945–1951)
Q: That was an attitude you found south Germany, west Germany, mid Germany?
NW: Everywhere. They didn’t know about it and they had suffered so much. They also suffered so much. But certainly they were all resistance fighters.“
(Norbert Wollheim, Interview mit Nikolaus Creutzfeldt [Eng.], New York 1986–88 (Heinlyn Productions; produziert von Leslie C. Wolf). Archiv des Fritz Bauer Instituts, Transkript, S. 170.)
(Bilanz nach sechs Jahren. Das Referat Norbert Wollheims auf der Berliner Zentralratstagung. In: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 7.9.1951, S. )
„Der Verfolger hat nicht das Recht, gleichzeitig zu vergeben. Das kann kein anderer tun als das Opfer, nämlich wir.“[1]
In den Jahren 1945–1951 war Norbert Wollheim nicht nur als stellvertretender Vorsitzender des Zentralkomitees der befreiten Juden in der Britischen Zone in der Arbeit für Displaced Persons und als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinden in der Britischen Zone im Wiederaufbau jüdischen Gemeindelebens in Deutschland tätig, sondern trat auch häufig als Redner und durch Zeitungsartikel in der Öffentlichkeit in Erscheinung.
Wollheim hielt an Gedenktagen für die Verbrechen des Nationalsozialismus Reden in Hamburg, dem Mittelpunkt der Britischen Zone, z.B. am 1. April 1948 im Gedenken an den Boykott jüdischer Geschäfte durch die Nationalsozialisten am 1. April 1933. Diese Rede wurde vom Nordwestdeutschen Rundfunk Hamburg gesendet und am 14. April 1948 auf der ersten Seite des Jüdischen Gemeindeblatts abgedruckt. Am 9. November 1948 sprach Wollheim, ebenfalls in Hamburg, zum Gedenken an das Pogrom vom 9./10. November 1938; der Text dieser Rede wurde vom Verlag „Unzer Sztyme“ des DP-Camps Bergen-Belsen veröffentlicht. Als am 24. Juni 1951 das Mahnmal der jüdischen Gemeinde Hamburg auf dem Friedhof Ohlsdorf eingeweiht wurde, sprach Wollheim dort als Vertreter des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Norbert Wollheim war es wichtig, dass die NS-Verbrechen nicht ungesühnt blieben; er arbeitete in seinen offiziellen Funktionen eng mit den Britischen Besatzungsbehörden in Hamburg bei Ermittlungen gegen NS-Verbrecher zusammen. Auch trat er offen dafür ein, die NS-Verbrechen nicht zu verschweigen und nicht zu verharmlosen Es lag ihm besonders daran, zu betonen, dass sie vor allem gegen Jüdinnen und Juden gerichtet gewesen waren. So wandte er sich gegen den Kieler Oberbürgermeister Andreas Gayk, der in einer Gedenkveranstaltung am 1. September 1948 nur unspezifisch über das „unermessliche Leid“, die gefallenen Soldaten, Toten in der Heimat und „schmerzgequälte Kreatur aller Länder“ sprach,[2] und kritisierte das in dieser Art von ‚Gedenkreden‘ herrschende „aktive Beschweigen von Juden“[3]. Folgerichtig sagte Wollheim sowohl im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben als auch im Harlan-Prozess aus, doch zeigte er sich von der Rechtsprechung enttäuscht, wie er am 17. Juni 1949 in der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland deutlich machte. Zum Harlan-Prozess hatte er sogar an einer Materialsammlung über den NS-Filmregisseur und seinen antisemitischen Film Jud Süß (D 1940) mitgearbeitet.[4] Die Haltung vieler Deutscher in der Nachkriegszeit, ihr immer wieder deutlich zutage tretender Antisemitismus, die Selbstwahrnehmung als ‚Opfer‘
In den Jahren 1948/1949 publizierte Norbert Wollheim regelmäßig an prominenter Stelle Artikel im Jüdischen Gemeindeblatt / Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, häufig als Aufmacher oder Kolumne auf der Titelseite. Sein Schreiben kennt dabei drei Schwerpunkte: Zum ersten die Arbeit in den jüdischen Organisationen; hier sind Wollheims Artikel nicht berichtend, sondern programmatisch, wie sich deutlich an seinem Artikel vom 23. Juni 1948 über den Jüdischen Weltkongress im Hinblick auf dessen 2. Kongress in Montreux einige Tage später bzw. an seinen Ausführungen zur Organisation jüdischen Lebens in Deutschland angesichts der Gründung der BRD zeigt, unter dem Titel „Wo stehen wir?“ am 29. Juli 1949 erschienen. Hierher gehören auch Artikel über aus Deutschland emigrierende Mitglieder des Zentralkomitees der befreiten Juden in der Britischen Zone (11. März 1949, 17. Juni 1949) und eine Würdigung Leo Baecks zu dessen 75. Geburtstag (22. Mai 1948). Zum zweiten thematisiert Wollheim immer wieder den ungebrochenen deutschen Antisemitismus und Nationalismus, der den Displaced Persons entgegenschlug; zwei dieser Artikel erschienen als Aufmacher unter den Titeln „Nun singen sie wieder…“ (18. März 1949) bzw. „Hat Hitler doch gesiegt?“ (26. August 1949). Zum dritten nimmt Norbert Wollheim in mehreren Texten in den Jahren 1948 und 1949 Anteil an der Entwicklung des Staates Israel (24. September 1948, 13. Mai 1949), darunter ein am 20. Februar 1949 im Nordwestdeutschen Rundfunk gesendeter Vortrag über die Geschichte des Zionismus bis hin zur Staatsgründung Israels (25. Februar 1949). Besonderes Augenmerk legt Wollheim darauf, wie die internationale Gemeinschaft dem neuen Staat begegnet (31. Dezember 1948, 28. Januar 1949), einen positiven Höhepunkt bietet da die Aufnahme Israels in die UNO, „Das 59. Mitglied“ (20. Mai 1949). Bereits zwei Wochen zuvor hatte er Eindrücke seiner ersten Reise nach Israel hier veröffentlicht: „Ich sah Israel“ (6. Mai 1949). In den Jahren 1947/48 publizierte Wollheim auch mehrere kurze Artikel und Leserbriefe im Aufbau.
Noch bis unmittelbar vor seiner Emigration in die USA im September 1951 war Wollheim öffentlich präsent. So führte er bei einer Rede in Düsseldorf am 17. Januar 1951 aus, dass es keine jüdischen Deutschen oder deutschen Juden mehr gebe, sondern „nur noch Juden in Deutschland“[5], und griff so in Debatten über die Zukunft jüdischen Lebens in Deutschland ein. Über diese Rede wurde ausführlich in der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland vom 26. Januar 1951 berichtet. Gleichzeitig unterstützte Wollheim Erich Lüth, den Pressesprecher der Freien und Hansestadt Hamburg, bei dessen Aktion „Friede mit Israel“, die u.a. durch eine Radiodiskussion im Nordwestdeutschen Rundfunk am 31. August 1951 bekannt gemacht wurde, an der Norbert Wollheim teilnahm. Schon am 5. Juli 1951 hatte Wollheim bei Erich Lüth im Deutschen Presseclub Hamburg über „Deutschland, Israel und die Juden“ gesprochen; auf diese Rede hin war Lüth die Idee zu seiner Initiative gekommen.
(MN)