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Philipp Heinrich Hörlein (1882–1954)

Philipp Heinrich Hörlein. Fotoaufnahme aus der National Archives Collection of World War II War Crimes Records vom Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben'© National Archives, Washington, DC
Philipp Heinrich Hörlein. Fotoaufnahme aus der National Archives Collection of World War II War Crimes Records vom Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben
© National Archives, Washington, DC

 a  In der Urteilsbegründung des Nürnberger Prozesses gegen I.G. Farben heißt es:

„Das Beweisergebnis rechtfertigt nicht den Schluß, daß der Aufsichtsrat oder die Angeklagten Mann, Hörlein oder Wurster als dessen Mitglieder bestimmenden Einfluß auf die Geschäftspolitik der DEGESCH oder strafrechtlich erhebliche Kenntnis von dem Verwendungszweck ihrer Erzeugnisse hatten. Aufsichtsratssitzungen fanden selten statt und die Berichte, die den Aufsichtsratsmitgliedern zugingen, enthielten nicht viel sachliche Information […]

[W]eder das Ausmaß der Erzeugung noch die Tatsache, daß große Mengen an Konzentrationslager versandt wurden, sind, für sich allein betrachtet, ausreichend für die Schlußfolgerung, daß die Personen, die von diesen Tatsachen Kenntnis hatten, auch um den verbrecherischen Zweck gewußt haben müssen, dem das Gas [Zyklon B] zugeführt wurde.“

(Das Urteil im I.G.-Farben-Prozess. Der vollständige Wortlaut. Offenbach am Main: Bollwerk 1948, S. 108–109.)

„Es widerspricht jeder Lebenserfahrung und kann daher ohne konkreten Gegenbeweis nicht angenommen werden, dass ein Mann, der sein Leben dem Wohl der Menschheit weiht, der Tag und Nacht darüber grübelt, wie man den Leiden seiner Mitmenschen Linderung verschaffen kann, gleichzeitig kaltherzig etwas tun oder dulden sollte, was den Sinn seines Lebens illusorisch machen würde.“

 

Philipp Heinrich Hörlein kam am 5. Juni 1882 als Sohn des Landwirts Heinrich Hörlein und seiner Frau Philippina (geb. Dürk) in Wendelsheim, Rheinhessen, zur Welt. Nach dem Schulbesuch in Alzey und Darmstadt nahm er 1900 ein Chemiestudium zunächst in Darmstadt, ab 1902 in Jena auf und schloss dieses 1903 mit der Promotion ab. Anschließend arbeitete er als Assistent seines Doktorvaters Ludwig Knorr, bis er 1909 in das wissenschaftliche Labor von Bayer in Elberfeld eintrat. Dort stieg er rasch auf: 1911 wurde ihm die Leitung des pharmazeutischen Labors übertragen, wo er 1912 das Schlafmittel „Luminal“ erfand. 1914 wurde er Prokurist, 1919 stellvertretender Direktor, 1921 stellvertretendes Vorstandsmitglied von Bayer. Nach der Fusion zur I.G. Farben wurde er auch hier 1926 als Leiter der Elberfelder Pharma-Forschung stellvertretendes Vorstandsmitglied. Im selben Jahr wurde ihm der Dr. med. h.c. der Universität München verliehen.

 

Ab 1931 bis Kriegsende war Heinrich Hörlein ordentliches Vorstandsmitglied der I.G. Farbenindustrie AG und stellvertretender Leiter der Sparte II (Chemikalien und Pharmazeutika) hinter Fritz ter Meer. 1932 wurde ihm die Staatsmedaille „Für Verdienste um die Volksgesundheit“ verliehen.

 

Zwischen 1933 und 1941 leitete er das Werk Elberfeld, 1934 trat er in die NSDAP ein. 1941 wurde Hörlein zum „Wehrwirtschaftsführer“ ernannt. Seine Aufgaben, pharmazeutische Forschung und die „Suche nach Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmitteln“, beinhalteten nach eigenen Aussagen auch die Meldung toxischer Stoffe aus der I.G.-Produktion ans Heereswaffenamt, wo diese ab 1935 auf ihre Kampfstofftauglichkeit geprüft wurden. Unter seiner Leitung entwickelte der Chemiker Gerhard Schrader in Elberfeld und Leverkusen die hochgiftigen Nervengase Tabun (1936) und Sarin (1938), deren Wirkung auch in Selbstversuchen an Mitarbeitern der I.G. Farbenindustrie getestet wurde. Nachdem die I.G. Farbenindustrie und das Heereswaffenamt ein großtechnisches Verfahren zur Tabun-Produktion entwickelt hatten, wurde in Dyhernfurth bei Breslau eine Nervengasfabrik von der I.G. Farbenindustrie errichtet.

 

Am 16. August 1945 wurde Hörlein von der US-Militärverwaltung verhaftet, 1947 im Nürnberger Prozess gegen I.G. Farben angeklagt und ein Jahr später in allen Punkten freigesprochen; es konnte ihm nicht nachgewiesen werden, dass er als Aufsichtsratsmitglied der Degussa von der Zyklon-B-Verwendung und medizinischen Versuchen in den Konzentrationslagern gewusst hatte.  a  Heinrich Hörlein wurde anschließend Leiter des Werkes Elberfeld der I.G. Farben i.L. und 1952 Aufsichtsratsvorsitzender der Farbenfabriken Bayer AG Leverkusen. Heinrich Hörlein starb am 23. Mai 1954 in Wuppertal.

(SP)

 



Quelle

Heinrich Hörlein, Eidesstattliche Erklärung, 2.5.1947, NI-6787. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, reel 018, Bl. 3–11.

Heinrich Hörlein, Positionen nach Anhang A, 12.8.1947, NI-9758. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, reel 017, Bl. 1220–1221.

Otto Nelte (Verteidiger Hörleins), Eröffnungserklärung, 18.12.1946. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, Prot (d), reel 051, Bd. 14a/15a, Bl. 4769–4784.

 

Literatur

Heine, Jens Ulrich: Verstand & Schicksal. Die Männer der I.G. Farbenindustrie A.G. Weinheim: VCH Verlagsgesellschaft 1990.

Lindner, Stephan H.: Hoechst. Ein I.G. Farben Werk im Dritten Reich. München: Beck 2005.

Schmaltz, Florian: Kampfstoff-Forschung im Nationalsozialismus. Zur Kooperation von Kaiser-Wilhelm-Instituten, Militär und Industrie. Göttingen: Wallstein 2005.

Das Urteil im I.G.-Farben-Prozess. Der vollständige Wortlaut. Offenbach am Main: Bollwerk 1948.

Dr. Nelte (Verteidiger Hörleins), Eröffnungserklärung 18.12.1946, Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, Prot (d) 14a/15a, reel 051, Bl. 4769–4784, hier Bl. 4784.

Heinrich Hörlein, Eidesstattliche Erklärung, 2.5.1947, NI-6787. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, reel 018, p. 3–11, hier Bl. 5.