Glossar

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Proteste gegen I.G. Farben in Liquidation

Peter Gingold bei Protesten gegen I.G. Farben'© Fritz Bauer Institut (Gingold-Nachlass)
Peter Gingold bei Protesten gegen I.G. Farben
© Fritz Bauer Institut (Gingold-Nachlass)
Proteste gegen I.G. Farben vor dem Steigenberger Hotel, Frankfurt am Main'© Fritz Bauer Institut (Gingold-Nachlass)
Proteste gegen I.G. Farben vor dem Steigenberger Hotel, Frankfurt am Main
© Fritz Bauer Institut (Gingold-Nachlass)

Seit den 1980er Jahren sah sich die I.G. Farben i.L. regelmäßig mit Protesten von Holocaust-Überlebenden, kritischen Aktionären, Gewerkschaften und antifaschistischen Organisationen konfrontiert. Diese Proteste stellten das Unternehmen schließlich sogar vor logistische Probleme, da es in den Jahren 1997 und 1998 nicht mehr gelang, in Frankfurt am Main einen Tagungsraum für die jährliche Aktionärsversammlung anzumieten. Auch in den folgenden Jahren gab es diesbezüglich Schwierigkeiten, doch bis zur Insolvenz der I.G. Farben i.L. 2003 half häufig die Frankfurter Saalbau GmbH aus. Wegen der Proteste fanden die Hauptversammlungen regelmäßig unter Polizeischutz statt. An den Protesten waren in den lokalen und bundesweiten Antifa-Initiativen und den „Kritischen Aktionärinnen und Aktionären der IG Farben“ auch Überlebende wie Hans Frankenthal und antifaschistische Widerstandskämpfer wie Peter Gingold beteiligt. Doch sahen sich die Aktionäre und Liquidatoren nicht veranlasst auf die Forderung der Protestierenden nach Auflösung der Abwicklungsgesellschaft und Ausschüttung ihres Vermögens an die ehemaligen Zwangsarbeiter/innen der I.G. einzugehen. Dabei kam es auch zu antisemitischen Ausfällen von Teilnehmern der Jahreshauptversammlungen gegen Demonstrant/innen.

 

Auf der Hauptversammlung der I.G. Farben i.L. am 18. August 1999 versuchten die Liquidatoren, der Bundestagsabgeordnete Otto Bernhardt und der Rechtsanwalt Volker Pollehn, beide CDU, die Proteste mit dem Antrag zu beruhigen, eine Stiftung mit einer Einlage von 3 Millionen DM gründen zu wollen, aus deren Zinsen ehemalige I.G.-Zwangsarbeiter/innen entschädigt werden sollten. Hans Frankenthal, der das KZ Buna/Monowitz überlebt hatte, machte auf das Skandalöse dieser Absichtserklärung aufmerksam: „Es sind nach […] Angaben [der I.G. i. L.] 450.000 Klagen anhängig. Dies ist keine ernstzunehmende Vorstellung von Entschädigung, da bleibt doch am Ende für jeden eine Briefmarke.“[1] Mit den Vermögensverschiebungen der I.G. Farben i.L. in den 1990er Jahren und der daraus folgenden Insolvenz 2003 sahen sich die ehemaligen Zwangsarbeiter/innen um ihre Ansprüche auf eine Entschädigung aus dem verbliebenen Vermögen des Konzerns betrogen. Alle Proteste waren erfolglos geblieben.

 

Als die Stiftung „I.G. Farbenindustrie“ schließlich 2001 gegründet wurde, erhielt sie eine Einlage von nur noch 500.000 DM resp. 255.000 Euro. Sie gab den Liquidatoren Bernhardt und Pollehn, die nun den Vorstand der Stiftung stellten, eine rechtliche Grundlage, um einerseits weiterhin als Nachfolgeorganisation der I.G. Farben und im Sinne der Aktionäre vermeintliche Ansprüche auf Auslandsvermögen in der Schweiz geltend zu machen, und um andererseits eine Entschädigung der noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter/innen des I.G. Farben-Konzerns aus diesem Vermögen zu verhindern. Henry Matthews, der Geschäftsführer der kritischen Aktionäre, urteilte dazu: Die Aktionäre „missbrauchen die Opfer des einstigen Nazi-Konzerns, um weiterhin ihre eigenen Taschen zu füllen“[2].

(MN/PEH)



Download

[pdf] Peer Heinelt_Die Entflechtung und Nachkriegsgeschichte der IG Farbenindustrie AG

 

Literatur

Es ist vollbracht! Geschichtspolitik heute. http://antifa-frankfurt.org/IGF/IGF-Brosch.html (Zugriff 6.8.2008).

Ja, wenn ... dann ... I.G. Farben, die verhinderte Geschichte einer Abwicklung. Interview mit Hans Frankenthal. In: Diskus 48 (1999), H. 3, http://www.copyriot.com/diskus (Zugriff am 18.2.2008).

„Opfer missbraucht“. IG Farben-Stiftung soll für „Zocker-Aktionäre“ Geld einklagen. (17.11.2003), http://www.ngo-online.de/ganze_nachricht.php?Nr=7298 (Zugriff am 6.8.2008).

Raedler, Christine / Levy-Hass, Gabriel: Die Realität moralischer Verantwortung. Eine Zusammenfassung zur Thematik Zwangsarbeit und Entschädigung (1999),  http://www.hagalil.com/archiv/99/09/entschaedigung.htm (Zugriff am 6.8.2008).

Tagesordnung der I.G. Farben Hauptversammlung am 18.8.1999, TOP 4: Gründung einer Stiftung, zit. n. http://www.kritischeaktionaere.de/Archiv/Konzernkritik/I_G__Farben/IGF-HV1999b/igf-hv1999b.html (Zugriff am 13.6.2008).

[1] Ja, wenn ... dann ... I.G. Farben, die verhinderte Geschichte einer Abwicklung. Interview mit Hans Frankenthal. In: Diskus 48 (1999), H. 3, http://www.copyriot.com/diskus (Zugriff am 18.2.2008).

[2] Henry Matthews zit. n. „Opfer missbraucht“. IG Farben-Stiftung soll für „Zocker-Aktionäre“ Geld einklagen. (17.11.2003), http://www.ngo-online.de/ganze_nachricht.php?Nr=7298 (Zugriff am 6.8.2008).