Glossar

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Sprache/n im KZ Buna/Monowitz

 a  „Greek Jews suffered more than others […] The second reason was the language barrier. Ashkenazic Jews who knew Yiddish could understand the Germans. We could not understand them and had trouble adapting to the climate. These two factors caused deaths among the Greek Jews from the beginning. Within three months of our arrival in Auschwitz, fifty percent of us were no longer alive.“

(Ya’acov Handeli: A Greek Jew from Salonica Remembers. New York: Herzl 1993, S. 68.)

 

 b  „Wenn man es mit einem SS-Mann zu tun hatte, musste man als erstes die Mütze herunterreißen, und seine Nummer laut und deutlich, natürlich auf deutsch, angeben. Ich beginne zu begreifen, welches Glück im Unglück ich habe, fließend Deutsch zu sprechen. Die meisten griechischen und italienischen Juden verstehen keinen Befehl und können nicht einmal ihre Nummer aussprechen. Natürlich können sie auch keine deutschen Lieder singen, die wir, wie zum Hohn, beim Hin- und Rückmarsch von der Arbeit auch noch zum Besten geben müssen. Das ist ausreichend, um brutal geschlagen, manchmal auch totgeschlagen zu werden.“

(Willy Berler: Durch die Hölle. Monowitz, Auschwitz, Groß-Rosen, Buchenwald. Augsburg: Ölbaum 2003, S. 60.)

 

 c  „Das Polnische war nun aber die unverständliche Sprache, die uns am Ende unserer Reise empfangen hatte, es war nicht das Polnisch gesitteter Menschen. […] Es war ein rohes Polnisch, bestehend aus Flüchen, aus Schimpfwörtern, die wir nicht verstanden; es war tatsächlich eine höllische Sprache: das Deutsche war das natürlich noch mehr; Deutsch war die Sprache der Unterdrücker, der Schlächter, aber viele von uns, darunter auch ich, verstanden ein wenig Deutsch, es war keine unbekannte Sprache, nicht die Sprache des Nichts. Polnisch war die Sprache des Nichts.“

(Daniel Toaff / Emanuele Ascarelli: Rückkehr nach Auschwitz. Interview mit Primo Levi. In: Primo Levi: Bericht über Auschwitz. Hg. v. Philippe Mesnard. Berlin: BasisDruck 2006, S. 111–125, hier S. 112.)

 

 d  „Schlimmer: Sie fanden nicht einmal Freunde. Es war ihnen nämlich in den meisten Fällen eine physische Unmöglichkeit, sich frischweg des Lager-Slangs zu bedienen, der die einzig akzeptierte Form gegenseitiger Verständigung war. […] Nun, im Lager bestand das Kommunikationsproblem zwischen dem geistigen Menschen und der Mehrzahl seiner Kameraden; es stellte sich stündlich in realer, ja qualvoller Weise. Es war dem an einigermaßen zivilisierte Ausdrucksweise gewohnten Häftling nur unter einem großen Aufwand von Selbstüberwindung möglich, ‚Hau ab!‘ zu sagen oder den Mithäftling ausschließlich mit ‚Mensch‘ anzusprechen. Ich erinnere mich nur zu gut des körperlichen Widerwillens, der mich regelmäßig erfaßte, wenn ein sonst ganz ordentlicher und umgänglicher Kamerad niemals anders zu mir sagte als ‚mein lieber Mann‘. Der Intellektuelle litt unter Ausdrücken wie ‚Küchenbulle‘, ‚organisieren‘ (womit die widerrechtliche Aneignung von Gegenständen gemeint war), ja selbst Formeln wie ‚auf Transport gehen‘ brachte er nur schwer und zögerlich über die Lippen.“

(Jean Améry: Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten. Stuttgart: Klett-Cotta 1977, S. 23.)

 

 e  „Ich habe mich an Entress, den SS-Arzt, gewendet. Weißt du, wie sehr ich mich vor ihm fürchte, und wie schwer es mir gefallen ist? […] Ich hatte die Illusion, daß Entress schließlich doch Arzt ist und weiß, daß auch ich es bin. Ich dachte mir, wir könnten uns auch lateinisch unterhalten. Aber wir verstanden einander nicht einmal auf Deutsch… Er sah mich an wie einen ekligen Käfer, den er nur darum nicht zertrat, damit die Sohle seiner Stiefel sauber bleibe.“

(Dr. Kovács, nach: Oszkár Betlen: Leben auf dem Acker des Todes. Berlin: Dietz 1962, S. 92.)

„Die meisten Italiener, die mit mir zusammen waren, sind in den ersten Tagen gestorben, weil sie nichts verstanden haben. Sie verstanden die Befehle nicht, und dem gegenüber, der einen Befehl nicht verstand, gab es keine Toleranz… Wenn sie irgend etwas brauchten, ein Bedürfnis zu artikulieren hatten, selbst wenn es zu befriedigen gewesen wäre – gelang ihnen erst gar nicht, es zu artikulieren, und sie wurden ausgelacht; auch moralisch war das sofort das Ende. Meiner Meinung nach ist unter den vielen Ursachen, weshalb man im Lager untergeht, die sprachliche, die der Sprache, eine der wichtigsten.“[1]

 

Zu den alltäglichen Schwierigkeiten für KZ-Häftlinge in Auschwitz zählte die sprachliche Verständigung: Befehlssprache war Deutsch, ihrer bedienten sich SS und Funktionshäftlinge.  a  Daneben existierte die Notwendigkeit einer Umgangssprache der Häftlinge untereinander. Für die ‚gewöhnlichen‘ Häftlinge war die Beherrschung zumindest von Brocken der deutschen Sprache unerlässlich: Nur wer Befehle verstand und schnell befolgen konnte, hatte Chancen zu überleben.  b  Doch auch Häftlinge mit grundlegenden Deutschkenntnissen stießen oft an Verständnisgrenzen. Zum einen fand die offizielle „Kommunikation“ zwischen Befehlsgebern und Häftlingen im Lager fast ausschließlich im Brüllton statt, zum anderen erschwerten oft Dialekte oder Akzente das Verstehen.

 

Im Zuge der Deportationen aus immer mehr Ländern Europas ins KZ Auschwitz wuchs auch die Zahl der Sprachen, mit denen sich Häftlinge untereinander verständigten. Da nur ein Teil von ihnen Fremdsprachen beherrschte, war die Verständigung oft problematisch. Innerhalb der Häftlingsselbstverwaltung wurden Versuche unternommen, die Kommunikation zu erleichtern, indem in jedem Block ein Häftling als „Dolmetsch“ beschäftigt wurde.

 

Daneben bildete sich zum gegenseitigen Verständnis der wichtigsten Vorkommnisse und Gegenstände ein Jargon aus, die „Lagersprache“, in die Begrifflichkeiten aus verschiedenen Sprachen einflossen. Die sprachlichen Anteile variierten dabei parallel zur Herkunft der Häftlinge. In der Anfangsphase des KZ Buna/Monowitz gaben vor allem deutsche „Kriminelle“ und polnische Häftlinge wortwörtlich den Ton an: Ausdrücke wie „Blokowy“[2] für Blockältesten, „organisacja“[3] (Verb: „organisieren“) für illegale Aneignung und „Patschkas“[4] für Lebensmittelpakete von Verwandten wurden von letzteren geprägt; erstere prägten nach Aussagen Überlebender vor allem Kraftausdrücke.  c  Hierzu zählen die höhnisch anmutenden Begriffe für die Entleerer der Latrinen, das sog. „Scheißkommando[5] und der „Scheißmeister“[6], der die Toiletten bewachte und den Zugang verbieten konnte. Der morgendliche Weckruf des Stubendienstes, „Aufstehen! Wstawac! Ojfstajn!“[7], und die Bezeichnung für Brot, „Brot-Broit-chleb-pane-pain-lechem-kenyér“[8], waren ein Sprachgemisch.

 

Im April 1943 wurden die großen sephardischen Gemeinden Griechenlands, v.a. Salonikis, nach Auschwitz deportiert; mit ihrer Ankunft gingen Begriffe wie „caravana“ (Essnapf) und „la comedera es buena“ (die Suppe ist gut) aus dem Ladino in die Lagersprache ein; auch „’klepsi-klepsi‘, das Sammelwort für stehlen, ist ganz offenbar griechischen Ursprungs“[9]. Manche Begriffe der Lagersprache, allen voran der Begriff „Muselmann“, sind etymologisch ungeklärt.

 

Weitere Quelle der „Lagersprache“ waren die oftmals euphemistischen Wendungen, die die Sprache der Nationalsozialisten auszeichneten. Diese wurden, in zitierender oder camouflierender Weise, auch von den Häftlingen verwendet: Oszkár Betlen überzeugte den SS-Arzt, der ihn ins Gas schicken wollte, dass er „noch immer mehr als drei Zugänge“[10] schaffen, also noch mehrere neuankommende Transporte überleben könne: „Diese Sprache verstanden die Nazis.“[11] Ebenso wurden pervertierte Militärbegrifflichkeiten übernommen, insbesondere im Bereich der unmenschlichen Strafen: „Sport treiben“ oder „Strafexerzieren“ bezeichneten militärische Übungen unter Schlägen, wie sie den von der Arbeit entkräfteten Häftlingen oft zur Belustigung der SS-Leute befohlen wurden, häufig als Kollektivstrafe. Kapos mussten die „Stärke“ ihres Kommandos melden, wie viel „Stück“ (also Häftlinge) sie mit sich führten. Der Befehl „Bewegung“[12], den der Kapo oder Vorarbeiter beim Nahen einer Aufsichtsperson rief, wurde von wohlmeinenden Vorarbeitern als Signal benutzt, um für die Dauer einer Inspektion Arbeitseifer vorzutäuschen. In einzelnen Fällen wurde Euphemismus in der Lagersprache ironisch aufgenommen, wenn etwa fliehen mit „flitzen“ bezeichnet wurde.

 

Oftmals waren es jedoch auch unterschiedliche Lebenserfahrungen und verschiedene Anpassungsweisen an die extremen Verhältnisse im KZ, die dem gegenseitigen Verständnis im Weg standen: Jean Améry beschreibt, über rein semantische Bedeutung von Sprache hinausgehend, welche Identitätsschwierigkeiten er als Intellektueller im Lager empfand.  d  Ebenso vermittelten sich über sprachliche Erfahrungen (natürlich) auch ideologische Barrieren, wie es Dr. Kovács, Arzt im Häftlingskrankenbau, ausdrückte.  e 

 

Neben rein inhaltlichen Verständnisfragen und der Lagersprache, die mit ihren harten Ausdrücken und ihrer geringen Ausdrucksmöglichkeit in Ansätzen die Haftbedingungen widerspiegelte, führte Sprache im alltäglichen Umgang Kommunikation oftmals ad absurdum, indem sie auf scheinbar unvereinbaren Ebenen stattfand. Dies müsste weitergehend untersucht werden.

(SP)



Quellen

E. H. (auf Wunsch des Autors anonymisiert): Überlebensbericht. Unveröffentlichtes Manuskript, undatiert. Archiv des Fritz Bauer Instituts.

Julius Paltiel, Lebensgeschichtliches Interview [Norw.], 7./8.6.2007. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Norbert Wollheim Memorial.

 

Literatur

Améry, Jean: Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten. Stuttgart: Klett-Cotta 1977.

Berler, Willy: Durch die Hölle. Monowitz, Auschwitz, Groß-Rosen, Buchenwald. Augsburg: Ölbaum 2003.

Betlen, Oszkár: Leben auf dem Acker des Todes. Berlin: Dietz 1962.

Handeli, Ya’acov: A Greek Jew from Salonica Remembers. New York: Herzl 1993.

Klemperer, Victor: LTI – Notizbuch eines Philologen [1947]. Leipzig: Reclam 1975.

Levi, Primo: Ist das ein Mensch? Erinnerungen an Auschwitz. Frankfurt am Main: Fischer 1961.

Martini, Emil de: Vier Millionen Tote klagen an. München-Obermenzing: Hans von Weber 1948.

Toaff, Daniel / Ascarelli, Emanuele: Rückkehr nach Auschwitz. Interview mit Primo Levi. In: Primo Levi: Bericht über Auschwitz. Hg. v. Philippe Mesnard. Berlin: BasisDruck 2006, S. 111–125.

White, Joseph Robert: IG Auschwitz: The Primacy of Racial Politics. Dissertation, University of Nebraska at Lincoln, NE, 2000.

[1] Daniel Toaff / Emanuele Ascarelli: Rückkehr nach Auschwitz. Interview mit Primo Levi. In: Primo Levi: Bericht über Auschwitz. Hg. v. Philippe Mesnard. Berlin: BasisDruck 2006, S. 111–125, hier S. 120–121.

[2] Oszkár Betlen: Leben auf dem Acker des Todes. Berlin: Dietz 1962, S. 78.

[3] Joseph Robert White: IG Auschwitz: The Primacy of Racial Politics. Dissertation, University of Nebraska at Lincoln, NE, 2000, S. 153.

[4] Willy Berler: Durch die Hölle. Monowitz, Auschwitz, Groß-Rosen, Buchenwald.Augsburg: Ölbaum 2003, S. 62.

[5] Berler: Hölle, S. 74.

[6] Berler: Hölle, S. 60.

[7] Berler: Hölle, S. 60.

[8] Primo Levi: Ist das ein Mensch? Erinnerungen an Auschwitz. Frankfurt am Main: Fischer 1961, S. 39.

[9] Levi: Mensch, S. 83.

[10] Betlen: Leben, S. 67.

[11] Betlen: Leben, S. 67.

[12] Berler: Hölle, S. 77.