Sprache/n im KZ Buna/Monowitz
(Ya’acov Handeli: A Greek Jew from Salonica Remembers. New York: Herzl 1993, S. 68.)
(Willy Berler: Durch die Hölle. Monowitz, Auschwitz, Groß-Rosen, Buchenwald. Augsburg: Ölbaum 2003, S. 60.)
(Daniel Toaff / Emanuele Ascarelli: Rückkehr nach Auschwitz. Interview mit Primo Levi. In: Primo Levi: Bericht über Auschwitz. Hg. v. Philippe Mesnard. Berlin: BasisDruck 2006, S. 111–125, hier S. 112.)
(Jean Améry: Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten. Stuttgart: Klett-Cotta 1977, S. 23.)
(Dr. Kovács, nach: Oszkár Betlen: Leben auf dem Acker des Todes. Berlin: Dietz 1962, S. 92.)
„Die meisten Italiener, die mit mir zusammen waren, sind in den ersten Tagen gestorben, weil sie nichts verstanden haben. Sie verstanden die Befehle nicht, und dem gegenüber, der einen Befehl nicht verstand, gab es keine Toleranz… Wenn sie irgend etwas brauchten, ein Bedürfnis zu artikulieren hatten, selbst wenn es zu befriedigen gewesen wäre – gelang ihnen erst gar nicht, es zu artikulieren, und sie wurden ausgelacht; auch moralisch war das sofort das Ende. Meiner Meinung nach ist unter den vielen Ursachen, weshalb man im Lager untergeht, die sprachliche, die der Sprache, eine der wichtigsten.“[1]
Zu den alltäglichen Schwierigkeiten für KZ-Häftlinge in Auschwitz zählte die sprachliche Verständigung: Befehlssprache war Deutsch, ihrer bedienten sich SS und Funktionshäftlinge.
Im Zuge der Deportationen aus immer mehr Ländern Europas ins KZ Auschwitz wuchs auch die Zahl der Sprachen, mit denen sich Häftlinge untereinander verständigten. Da nur ein Teil von ihnen Fremdsprachen beherrschte, war die Verständigung oft problematisch. Innerhalb der Häftlingsselbstverwaltung wurden Versuche unternommen, die Kommunikation zu erleichtern, indem in jedem Block ein Häftling als „Dolmetsch“ beschäftigt wurde.
Daneben bildete sich zum gegenseitigen Verständnis der wichtigsten Vorkommnisse und Gegenstände ein Jargon aus, die „Lagersprache“, in die Begrifflichkeiten aus verschiedenen Sprachen einflossen. Die sprachlichen Anteile variierten dabei parallel zur Herkunft der Häftlinge. In der Anfangsphase des KZ Buna/Monowitz gaben vor allem deutsche „Kriminelle“ und polnische Häftlinge wortwörtlich den Ton an: Ausdrücke wie „Blokowy“[2] für Blockältesten, „organisacja“[3] (Verb: „organisieren“) für illegale Aneignung und „Patschkas“[4] für Lebensmittelpakete von Verwandten wurden von letzteren geprägt; erstere prägten nach Aussagen Überlebender vor allem Kraftausdrücke.
Im April 1943 wurden die großen sephardischen Gemeinden Griechenlands, v.a. Salonikis, nach Auschwitz deportiert; mit ihrer Ankunft gingen Begriffe wie „caravana“ (Essnapf) und „la comedera es buena“ (die Suppe ist gut) aus dem Ladino in die Lagersprache ein; auch „’klepsi-klepsi‘, das Sammelwort für stehlen, ist ganz offenbar griechischen Ursprungs“[9]. Manche Begriffe der Lagersprache, allen voran der Begriff „Muselmann“, sind etymologisch ungeklärt.
Weitere Quelle der „Lagersprache“ waren die oftmals euphemistischen Wendungen, die die Sprache der Nationalsozialisten auszeichneten. Diese wurden, in zitierender oder camouflierender Weise, auch von den Häftlingen verwendet: Oszkár Betlen überzeugte den SS-Arzt, der ihn ins Gas schicken wollte, dass er „noch immer mehr als drei Zugänge“[10] schaffen, also noch mehrere neuankommende Transporte überleben könne: „Diese Sprache verstanden die Nazis.“[11] Ebenso wurden pervertierte Militärbegrifflichkeiten übernommen, insbesondere im Bereich der unmenschlichen Strafen: „Sport treiben“ oder „Strafexerzieren“ bezeichneten militärische Übungen unter Schlägen, wie sie den von der Arbeit entkräfteten Häftlingen oft zur Belustigung der SS-Leute befohlen wurden, häufig als Kollektivstrafe. Kapos mussten die „Stärke“ ihres Kommandos melden, wie viel „Stück“ (also Häftlinge) sie mit sich führten. Der Befehl „Bewegung“[12], den der Kapo oder Vorarbeiter beim Nahen einer Aufsichtsperson rief, wurde von wohlmeinenden Vorarbeitern als Signal benutzt, um für die Dauer einer Inspektion Arbeitseifer vorzutäuschen. In einzelnen Fällen wurde Euphemismus in der Lagersprache ironisch aufgenommen, wenn etwa fliehen mit „flitzen“ bezeichnet wurde.
Oftmals waren es jedoch auch unterschiedliche Lebenserfahrungen und verschiedene Anpassungsweisen an die extremen Verhältnisse im KZ, die dem gegenseitigen Verständnis im Weg standen: Jean Améry beschreibt, über rein semantische Bedeutung von Sprache hinausgehend, welche Identitätsschwierigkeiten er als Intellektueller im Lager empfand.
Neben rein inhaltlichen Verständnisfragen und der Lagersprache, die mit ihren harten Ausdrücken und ihrer geringen Ausdrucksmöglichkeit in Ansätzen die Haftbedingungen widerspiegelte, führte Sprache im alltäglichen Umgang Kommunikation oftmals ad absurdum, indem sie auf scheinbar unvereinbaren Ebenen stattfand. Dies müsste weitergehend untersucht werden.
(SP)