Glossar

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Wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen von Zwangsarbeit

Die Wirtschaftspolitik der nationalsozialistischen Reichsregierung hatte von Anfang an zwei Ziele: Die Beseitigung der Arbeitslosigkeit und die Schaffung einer Rüstungsindustrie, die möglichst unabhängig von Importen aus anderen Ländern sein sollte. Der Ausbau der Rüstungsindustrie und riesige von der Regierung in Auftrag gegebene Bauprojekte sollten beiden Zielen dienen. Zunächst konnte jedoch eine Abnahme der realen Arbeitslosenzahlen kaum erreicht werden, vielmehr wurden Arbeitslose statistisch in die unsichtbare Arbeitslosigkeit („Arbeitsmarktreserve“[1]) verschoben: Frauen wurden nicht mehr als arbeitslos erfasst, und ab März 1933 wurde der „freiwillige Arbeitsdienst“ ausgebaut. Besonders Jugendliche wurden im Rahmen der „Landhilfe“ unbezahlt in der Landwirtschaft eingesetzt bzw. zum Wehrdienst verpflichtet. So betrug die offizielle Arbeitslosenquote im Jahr 1938 nurmehr 1,3%.

 

Nach außen prägten Agrarprotektionismus und die dirigistische Regulierung des Imports die Politik der NS-Regierung. Im Inneren des Deutschen Reiches bestand für Unternehmen die Gefahr willkürlicher Personalentscheidungen durch NSDAP oder SA.

 

Seit der Verkündung des Vierjahresplans 1936 prägten zunehmende Staatsverschuldung, überhitzte Konjunktur und drohende Inflation die wirtschaftliche Lage des Deutschen Reiches. In einigen Bereichen herrschte seit 1934 Facharbeitermangel, der sich zunehmend auf die meisten Produktionsbereiche ausdehnte. Dem sollte von politischer Seite durch die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte, anfangs vorwiegend Facharbeiter aus Österreich und der Tschechoslowakei, abgeholfen werden. Daneben löste der Arbeitskräftemangel „immer schärfere Zwangsmaßnahmen aus, die der Deckung [… des] Arbeitskraftbedarfs dienen sollten.“[2] Den deutschen Unternehmen standen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung: Großunternehmen, die rüstungswichtige Produkte herstellten, profitierten von der Aufrüstung und erhielten Unterstützung von der Regierung unter anderem durch Zuweisung von Arbeitskräften. Für anfallende Arbeiten konnten „dienstverpflichtete“ deutsche und jüdische Männer angefordert werden. Außerdem wurden ab März 1939 Zwangsarbeiter/innen aus den besetzten Gebieten in der Industrie und der Landwirtschaft eingesetzt. Kleineren Betrieben und solchen, die keine rüstungswirtschaftlich bedeutsamen Produkte herstellen wollten oder konnten, entzogen die Behörden ihre Arbeitskräfte.

 

Der Plan eines europäischen Großwirtschaftsraums unter deutscher Hegemonie wurde durch die „Neuordnung“ der Tschechoslowakei und den „Anschluss“ Österreichs vorangetrieben. Zum Ausgleich des Wegfalls von Im- und Export wurden Güter aus den besetzten Ländern geraubt, um die deutsche Bevölkerung mit Lebensmitteln und die deutsche Industrie mit Rohstoffen zu beliefern. Darüber hinaus wurden immer mehr ausländische Arbeiter/innen aus den besetzten Gebieten zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich gebracht.

(BG/SP)



Literatur

Buchheim, Christoph: Das NS-Regime und die Überwindung der Weltwirtschaftskrise in Deutschland. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 56 (2008), H. 3, S. 381–414.

Gruner, Wolf: Der geschlossene Arbeitseinsatz deutscher Juden. Zur Zwangsarbeit als Element der Verfolgung 1938–1943. Berlin: Metropol 1997

Herbert, Ulrich: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches. Berlin/Bonn: Dietz 1985.

Spoerer, Mark: Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Stuttgart/München: DVA 2001.

[1] Christoph Buchheim: Das NS-Regime und die Überwindung der Weltwirtschaftskrise in Deutschland. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 56 (2008), H. 3, S. 381–414, hier S. 394.

[2] Buchheim: Das NS-Regime, S. 414.