Glossar

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Zwangsarbeit in Landwirtschaft und kleinen Betrieben

Während der Weltwirtschaftskrise war der Zuzug ausländischer Saisonarbeiter durch Gesetze strikt reglementiert worden, so dass 1932 nur noch 110.000 ausländische Arbeitskräfte nach Deutschland kamen, weniger als die Hälfte im Vergleich zu 1928.[1] Insbesondere in der Landwirtschaft, einem Sektor, in dem traditionell ausländische Saisonarbeiter/innen eingesetzt wurden, fehlten nach Erreichen der Vollbeschäftigung ab 1935 Arbeitskräfte. In den Planungen des NS-Regimes für den Krieg war der Einsatz von Kriegsgefangenen zur Zwangsarbeit in der Landwirtschaft schon seit Herbst 1937 vorgesehen und im Juli 1938 von dem Beauftragten für den Vierjahresplan, Hermann Göring, angeordnet worden. 1939 fehlten mindestens 400.000 Arbeitskräfte in der Landwirtschaft, so dass im Herbst desselben Jahres polnische Kriegsgefangene, untergebracht in Stalags (Stammlager), bei der Ernte eingesetzt wurden. Bis Ende dieses Jahres wuchs ihre Zahl auf 300.000. Landwirte hatten die Möglichkeit, sich bei den zuständigen Arbeitsämtern zu melden und Arbeiter/innen anzufordern. Erst danach begann der massenhafte Einsatz von Zwangsarbeiter/innen in Betrieben und Unternehmen.

 

Neben Kriegsgefangenen wurden besonders ausländische Frauen und auch Kinder in der Landwirtschaft eingesetzt: Im August 1944 arbeiteten 66,7% aller polnischen und 28,5% aller sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter/innen in der deutschen Landwirtschaft. Letztere waren meistens direkt bei deutschen Familien untergebracht und standen somit in persönlichem Kontakt zu ihren ‚Arbeitgeber/innen‘, eine lückenlose polizeiliche Überwachung erwies sich als unmöglich. Häufig wurden sie von den Bauern behandelt wie das deutsche Gesinde – unter anderem, weil die Arbeit nur bei willigem Einsatz aller bewältigt werden konnte. Auch wenn sie geringere Löhne als ihre deutschen Kolleg/innen erhielten und zugleich auf sich allein gestellt waren, war die Lebensmittelversorgung der ausländischen Arbeiter/innen in Kleinbetrieben auf dem Land besser als in städtischen und großen Betrieben. Dies war unter den Arbeiter/innen bekannt: zeitenweise bewarben sich sogar „Ostarbeiter“ in der ab Juli 1943 ausnahmsweise gewährten Woche Urlaub um Arbeit auf dem Land, „wo sie sich endlich einmal satt essen konnten“[2]. Im September 1944 waren etwa 2,7 Millionen ausländische Arbeiter/innen, hauptsächlich aus Polen und der Sowjetunion, in der deutschen Landwirtschaft beschäftigt.

 

Auch in Kleinbetrieben und im Handwerk wurden Zwangsarbeiter/innen eingesetzt, etwa in Bäckereien oder Werkstätten, wo der Haupternährer als Soldat an der Front war. Für kleine Betriebe war dies eine wesentliche wirtschaftliche Grundlage, denn diejenigen, die keine rüstungswirtschaftlich bedeutsamen Produkte herstellen wollten oder konnten und denen folglich die Behörden ihre Arbeitskräfte entzogen, mussten häufig schließen.

(BG/SP)



Literatur

Eichholtz, Dietrich: Zwangsarbeit in der deutschen Kriegswirtschaft (unter besonderer Berücksichtigung der Rüstungsindustrie). In: Ulrike Winkler (Hg.): Stiften gehen. NS-Zwangsarbeit und Entschädigungsdebatte. Köln: PapyRossa 2000, S. 10–40.

Herbert, Ulrich: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches. Berlin/Bonn: Dietz 1985.

Hoffmann, Katharina: Zwangsarbeit in der Landwirtschaft. In: Ulrike Winkler (Hg.): Stiften gehen. NS-Zwangsarbeit und Entschädigungsdebatte. Köln: PapyRossa 2000, S. 130–147.

Maier, Dieter G.: Arbeitsverwaltung und NS-Zwangsarbeit. In: Ulrike Winkler (Hg.): Stiften gehen. NS-Zwangsarbeit und Entschädigungsdebatte. Köln: PapyRossa 2000, S. 67–84.

Spoerer, Mark: Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Stuttgart/München: DVA 2001.

[1] Dieter G. Maier: Arbeitsverwaltung und NS-Zwangsarbeit. In: Ulrike Winkler (Hg.): Stiften gehen. NS-Zwangsarbeit und Entschädigungsdebatte. Köln: PapyRossa 2000, S. 67–84, hier S. 68.

[2] Mark Spoerer: Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Stuttgart/München: DVA 2001, S. 167.