Glossar

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Aufnahme und Behandlung im Häftlingskrankenbau

 a  „[D]ie vernichtenden Lagerbedingungen, die schlechten hygienischen und sanitären Zustände, übermässige Arbeit, Hungerrationen, ungenügende Bekleidung, die nicht vor Feuchtigkeit und Kälte schützte, sowie – was nicht weniger wichtig war, das Leben in fortwährender Nervenanspannung, unter beständigem Terror, führte schnell zur Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Häftlinge und verringerte ihre Widerstandskraft. […] Auch waren die Behandlungsmöglichkeiten bei weitem nicht ausreichend.“

(Antoni Makowski: Organisation, Entwicklung und Tätigkeit des Häftlings-Krankenbaus in Monowitz (KL Auschwitz III). In: Hefte von Auschwitz 15 (1975), S. 113–181, hier S. 135.)

 

 b  „Besonders gefürchtet von den Häftlingen war der Durchfallsblock. Auf diesem Block musste der Häftling nach der Aufnahme rein schematisch aus diätetischen Gründen 2 Tage hungern. Die Sterblichkeit war hier ungemein hoch.“

(Berthold Epstein, Eidesstattliche Erklärung, 3.3.1947, NI-5847. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 (d), Bl. 193–197, hier Bl. 193.)

 

 c  „Sie werden jeden dritten Tag kontrolliert. Dazu stellen sie sich den Gang entlang auf; vorne zwei Blechschüsseln, daneben der Pfleger mit Liste, Uhr und Bleistift. Die Kranken präsentieren sich zu zweit und müssen an Ort und Stelle sofort den  Beweis erbringen, daß ihre Diarrhöe noch anhält; dazu wird ihnen genau eine Minute Zeit gelassen. Daraufhin zeigen sie das Resultat dem Pfleger, der prüft und beurteilt. Rasch waschen sie die Schüsseln in einer dazu bestimmten Wanne aus, dann kommen die beiden nächsten an die Reihe. Unter den Wartenden winden sich verschiedene in dem qualvollen Bemühen, den kostbaren Beweis noch zwanzig, noch zehn Minuten zurückzuhalten; andere, denen in diesem Augenblick nichts zur Verfügung steht, pressen Adern und Muskeln in entgegengesetzter Anstrengung. Der Pfleger nimmt dies mit unbeteiligter Mine wahr, kaut am Bleistift, blickt auf die Uhr und blickt auf die Proben, die ihm fortlaufend unterbreitet werden; in Zweifelsfällen geht er zum Arzt.“

(Primo Levi: Ist das ein Mensch? Erinnerungen an Auschwitz. Frankfurt am Main: Fischer 1961, S. 55.)

„In jedem Krankenhaus bemüht man sich, kranke Menschen wieder gesund zu machen. Der Krankenbau des IG Lagers Monowitz hatte nur die Aufgabe, Werkzeuge wieder instandzusetzen.“[1]

 

Die 1942 im KZ Buna/Monowitz eingerichtete Ambulanz des Häftlingskrankenbaus (HKB) war abends, nach Arbeitsende, in Betrieb. Kranke oder Verletzte konnten sich nach dem Abendappell in die lange Schlange derer einreihen, die aufgenommen werden wollten. Die Häftlinge warteten bei Wind und Wetter im Freien – ein Wartezimmer gab es nicht. Wer am Abend von den Pflegern der Ambulanz als sogenannter „Arztvormelder“ akzeptiert wurde, musste am folgenden Morgen direkt nach dem Wecken ein zweites Mal vorstellig werden, um nach einer oberflächlichen Untersuchung von einem Arzt endgültig aufgenommen oder abgelehnt zu werden. Ablehnung bedeutete „Blockschonung“, d.h. die Häftlinge wurden zurück in ihre Baracke geschickt und mussten an diesem Tag nicht zur Arbeit ausrücken. Sie konnten sich der Ruhe jedoch nicht sicher sein – oftmals wurden sie innerhalb des Lagers zu Arbeiten herangezogen.

 

Aufnahme in den HKB bedeutete Dusche, Rasur und Einweisung in die zuständige Abteilung des Krankenbaus. Der Einlass erfolgte barfuß und nackt, das Essgeschirr und der Löffel mussten, wie alle übrigen Besitztümer, abgegeben werden. Die Pfleger konnten diese verkaufen und sich so ein Zubrot verdienen. Nach der Aufnahme erhielten die Kranken ein Hemd und eine Unterhose aus den Beständen des HKB. Die Richtlinien für die Aufnahme in den HKB waren von SS und I.G. gemeinsam festgelegt worden, in der Regel sollten nur diejenigen stationär aufgenommen werden, „deren Genesung nicht länger als 14 Tage dauert“[2]. Die meisten erhielten lediglich eine ambulante Behandlung im Rahmen der äußerst eingeschränkten Möglichkeiten.  a  Der ehemalige Häftlingsarzt Antoni Makowski berichtet zwar von Medikamenten, die im Labor des HKB von Häftlingsapothekern hergestellt wurden, und sogar von Brillen, die angepasst werden konnten. Es besteht jedoch Grund zu der Annahme, dass die meisten Häftlinge von diesen Angeboten keinen Gebrauch machen konnten: eine bessere Versorgung erhielten vor allem privilegierte Häftlinge. Für „hohe Funktionshäftlinge waren auch dann seltene Arzneimittel verfügbar, wenn ein ‚normaler‘ Häftling nicht einmal mehr ein einfaches Schmerzmittel erhielt“[3], wie der Historiker Bernd Wagner hervorhebt. Einzelne Häftlinge mit guten Verbindungen wurden unter Umständen von Pflegern oder Häftlingsärzten protegiert und nicht selten mehrfach vor dem Tod in der Gaskammer bewahrt.

 

Schon die Aufnahme in den Krankenbau und die Bewilligung einiger Tage Ruhe war ein schwieriges Unterfangen. Hatten Häftlinge diese Hindernisse überwunden, war der Aufenthalt im Krankenbau nicht ohne Risiko: Zum einen wurden von der SS Selektionen durchgeführt, wenn der Krankenstand zu hoch war. Zum anderen wurden z.B. Durchfallkranke zwar meist aufgenommen, jedoch überlebten nicht viele die Behandlung, die zu Beginn aus ein bis zwei Tage Fasten bestand.  b 

 

Der Häftlingsarzt Dr. Stefan Budziaszek (Buthner) führte häufig Operationen im Bauchraum und bei Brüchen durch, nachdem er mit dazu beigetragen hatte, einen chirurgischen Operationssaal einzurichten und auszustatten. Dort führte Budziaszek auch „Schauoperationen“ vor SS-Ärzten durch.

 

Hautkrankheiten und eitrige Entzündungen wurden meist mit einfachen Salben behandelt, die oft keine Wirkung zeigten. Krankheiten mit großer Ansteckungsgefahr führten meist zur Selektion und Ermordung der Befallenen. Die vorherrschenden Krankheiten im KZ Buna/Monowitz waren entweder verursacht durch Mangelernährung, also Ödeme bzw. Diarrhöe, durch Schwächung der Widerstandskräfte und unzureichende Kleidung, etwa Erkältungskrankheiten aller Art, Infektionskrankheiten wie Diphterie, Typhus oder Scharlach, und Krankheiten, die der operativen Behandlung bedurften. Darunter fielen häufig auch Unfälle, hervorgerufen durch unzureichende Schutzausrüstung auf der Baustelle, Entkräftung oder Prügelstrafen. Daneben beobachtete der Häftlingsarzt Dr. Robert Waitz unterschiedliche, epidemisch auftretende Krankheiten, je nach Jahreszeit: Im Sommer gab es viele Durchfallkranke  c , im Frühjahr und bei Kälte traten Lungenentzündungen, Ödeme, Phlegmone und Erysipel (Wundrose) verstärkt auf. Daneben wurde das Lager in der zweiten Hälfte 1944 von einer Krätze-Epidemie heimgesucht.

 

Für die Behandlung waren oft die Pfleger zuständig; der Oberarzt absolvierte die Morgenvisite, unterstützt von einem bzw. zwei Pflegern. Dabei mussten sich die Kranken zu ihm hinbewegen, er kam nicht ans Bett. Abends gab es wiederum eine kurze Kontrollvisite. Dazwischen wurde in drei Schichten das Essen, die Lagersuppe, verteilt. War ein Kranker halbwegs wieder hergestellt, wurde er entlassen, oft zu früh, und geschwächt, wie er noch war, wieder zur Arbeit geschickt. Er wurde in der Regel in einen neuen Block eingeteilt und musste sich als erstes wieder Brot vom Munde absparen, um einen Löffel kaufen zu können.

(SP)



Quellen

Berthold Epstein, Eidesstattliche Erklärung, 3.3.1947, NI-5847. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 (d), Bl. 193–197 sowie ADB 78 (d), Bl. 146–150.

Leon Staischak [Stasiak], Eidesstattliche Erklärung, 3.9.1947, NI-10928. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 (d), B. 208–218.

Noack Treister, Eidesstattliche Erklärung, 3.3.1947, NI-4827. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 (d), Bl. 184–186 sowie ADB 79 (d), Bl. 1–3.

Robert Elie Waitz, Eidesstattliche Erklärung, 12.11.1947, NI-12373. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 N (d), Bl. 31–39.

 

Literatur

Levi, Primo: Ist das ein Mensch? Erinnerungen an Auschwitz. Frankfurt am Main: Fischer 1961.

Levi, Primo / Debenedetti, Leonardo: Bericht über die hygienisch-gesundheitliche Organisation des Konzentrationslagers für Juden in Monowitz (Auschwitz – Oberschlesien). In: Primo Levi: Bericht über Auschwitz. Hg. v. Philippe Mesnard. Berlin: BasisDruck 2006, S. 57–96.

Makowski, Antoni: Organisation, Entwicklung und Tätigkeit des Häftlings-Krankenbaus in Monowitz (KL Auschwitz III). In: Hefte von Auschwitz 15 (1975), S. 113–181.

Wagner, Bernd C.: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. München: Saur 2000.

White, Joseph Robert: IG Auschwitz: The Primacy of Racial Politics. Dissertation, University of Nebraska at Lincoln, NE, 2000.

[1] Leon Staischak [Stasiak], Eidesstattliche Erklärung, 3.9.1947, NI-10928. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 (d), Bl. 208–218, hier Bl. 212. 

[2] Berthold Epstein, Eidesstattliche Erklärung, 3.3.1947, NI-5847. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 (d), Bl. 193–197, hier Bl. 194.

[3] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. München: Saur 2000, S. 172.