Ernährung
Ich machte in Monowitz die Beobachtung, dass je nach Jahreszeit verschiedenen Krankheiten in grosser Anzahl auftraten. Im Sommer gab es beispielsweise sehr viele Durchfallkranke […] Lungenentzündungen traten auf bei grosser Kälte sowie in Übergangszeiten, März–April.“
(Robert Waitz, Eidesstattliche Erklärung, 12.11.1947, NI-12373. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 N (d), Bl. 31–39, hier Bl. 33–34.)
In den ersten Wochen des Bestehens des KZ Buna/Monowitz wurde die Verpflegung aus dem Stammlager Auschwitz I von der SS geliefert. Es handelte sich um die auch dort übliche wässrige Suppe. Ab Mitte Februar 1943 verfügte das KZ Buna/Monowitz über eigene Kücheneinrichtungen, in denen das Essen für die Häftlinge zubereitet wurde. Das Küchenkommando arbeitete in einem abgetrennten Bereich. Es gab 30–40 Kessel à 300 Liter. Gekocht wurde mit Fernwärme aus dem I.G.-Kraftwerk.
Morgens bekamen die Häftlinge ein wenig „Ersatzkaffee“, dazu war 1/5 Laib Brot gedacht, der bereits am Abend vorher ausgeteilt wurde. Viele Häftlinge hatten ihn bis zum Morgen schon gegessen. Mit der Brotration gab es nach voneinander geringfügig abweichenden Aussagen Überlebender 8–20g Margarine und einmal pro Woche 30g minderwertige Wurst, 100g Weißkäse bzw. Quark und 50g Marmelade. Für Außenkommandos gab es dreimal in der Woche 30g Wurst. Die Häftlinge erhielten weder Zucker, noch Milch, Käse, Obst oder Trinkwasser, obwohl das Leitungswasser in der Gegend von Auschwitz ungenießbar war. Oft gab es für mehrere Häftlinge nur einen Suppennapf; Löffel wurden an die Häftlinge nicht ausgegeben, sondern mussten gegen mindestens eine halbe Brotration im Schwarzhandel eingetauscht werden. Manche Häftlinge schliffen die Griffe ihrer Löffel zu Messern ab, um das Brot schneiden zu können.
Die Hauptnahrung bestand aus Suppe. Mittags gab es auf der Baustelle für jeden Häftling etwa einen 3/4 Liter „Buna-Suppe“, die in großen Thermosbehältern aus der Lagerküche um 10 Uhr dorthin gebracht, aber erst um 12 Uhr gegessen wurde. Diese „Buna-Suppe“ habe so geheißen, da sie wie Gummi, Buna, schmeckte, so Gerhard Maschkowski: „Die hat drei Farben gehabt. Manchmal war sie braun, manchmal war sie grün, manchmal war sie gelb. Nichts drin.“[1] Sie enthielt Nesseln, Gras, Grünzeug, manchmal eine Kartoffel und hatte so gut wie keinen Nährwert. Die Hauptmahlzeit gab es abends nach dem Appell, wiederum Suppe, meist auf der Grundlage von Kartoffeln gekocht. Die großen Kessel wurden von zwei Kesselträgern von der Küche zum Block gebracht, wo der Blockälteste die Suppe verteilte. Dabei war es von Vorteil, erst gegen Ende an die Reihe zu kommen, da das wenige Gemüse sich am Boden des Kessels befand. Wer Kesselträger war, hatte die Chance, die Reste im Kessel als zusätzliches Essen zu erhalten.
Die Ernährung enthielt fast keine Eiweiße, k
aum Vitamine und Fette und führte nach den Beobachtungen des im Krankenbau als Häftlingsarzt tätigen Mediziners Robert Waitz häufig zu Durchfall, da der Körper so gut wie keine Magensäure und Darmsäfte mehr produzieren konnte.
Nicht nur die Schwere der zu leistenden Arbeit, sondern auch die Möglichkeiten, sich zusätzliches Essen zu beschaffen – zu ‚organisieren‘ in der Lagersprache –, entschieden über die Überlebenschancen eines Häftlings. Hier waren die „Prominenten“ im Vorteil. Häufig behielten die Blockältesten einen Teil der Lebensmittelrationen ihres Blocks ein, um damit notwendige Güter, die nicht von der SS gestellt wurden, für sich selbst oder für den Block einzutauschen. Es kam zu Unterschlagungen in der Küche, bei denen sich Funktionshäftlinge und SS bereicherten, auch wenn Wurziger, der Kücheninspektor der I.G., die Anlieferung der kärglichen Lebensmittel täglich in der von der SS bewachten Wirtschaftsbaracke in Monowitz prüfte. Ein Arbeitsplatz in der Lagerküche oder auch in der Küche der SS bot die Möglichkeit, Freunden mit Essen zu helfen. Auf der Baustelle wurde unter der Hand Essen von Zivilarbeitern oder Polen aus der Gegend eingehandelt oder auf der Baustelle gestohlene Dinge, wie Kupferdraht, Nägel oder Fett, bei Funktionshäftlingen gegen Brot oder Suppe eingetauscht. Häufig halfen auch britische Kriegsgefangene mit Lebensmitteln und Zigaretten.
Brot diente im Lager als Ersatzwährung. Wurde einem Häftling sein Brot gestohlen, so kam das einem Diebstahl von Leben gleich und wurde von den anderen Häftlingen mit dem Tod bestraft. Das Ziel der gesamten Untergrundökonomie des Lagers war es, nicht zu verhungern. Dafür unternahmen Häftlinge auch zusätzliche Arbeiten für Meister oder Funktionshäftlinge, wie Zeichnungen, Geschenkkarten oder Reparaturen, manchmal zwangen Funktionshäftlinge jüngere Häftlinge zur Prostitution. Wer keine Möglichkeit fand, zusätzliches Essen zu bekommen, war bald völlig ausgezehrt und geschwächt – ein „Muselmann“ in der Lagersprache –, wurde apathisch und fiel meist bald einer Selektion zum Opfer.
(MN)