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Carl Duisberg (1861–1935)

Carl Duisberg'© Bayer AG / Corporate History & Archives, Leverkusen
Carl Duisberg
© Bayer AG / Corporate History & Archives, Leverkusen

Carl Duisberg kam am 29. September 1861 als Sohn eines Bandfabrikanten in Wuppertal zur Welt. 1879 nahm er ein Chemiestudium in Göttingen auf, das er in Jena fortsetzte und 1882 mit einer Promotion abschloss. Nach einjährigem Militärdienst begann er 1883 bei der Farbenfabrik Friedrich Bayer in Elberfeld als Chemiker zu arbeiten. Hier gelangen ihm 1885 mehrere Farbstofferfindungen, 1900 wurde er Vorstandsmitglied der Farbenfabriken Bayer. Bereits 1896 war er zum ersten Mal in die USA gereist, wo er die wirtschaftlichen Effekte von Firmenzusammenschließungen, sog. „trusts“ kennengelernt hatte.

 

1904 ging Bayer mit der Agfa und der BASF eine strategische Allianz ein, den sogenannten „Dreibund“. 1912 wurde Duisberg Vorstandsvorsitzender der „Farbenfabriken vormals Friedrich Bayer“. Während des Krieges fungierte Carl Duisberg als Berater der Kriegsbehörden. Die Herstellung von Giftgas für den Kampfeinsatz wurde, neben der Sprengstofferzeugung, ein Schwerpunkt der Produktion des Dreibunds: In Abstimmung mit Fritz Haber produzierte die Bayer AG Chlorgas, das 1915 bei Ypern zum ersten Mal von der deutschen Armee gegen französische Truppen eingesetzt wurde. Durch den Chlorgasangriff gab es unter den französischen Soldaten zwischen 800 und 1.400 Tote und 2–3.000 Gasverletzte. Während des Ersten Weltkriegs war Duisberg einer der Wegbereiter und vehementen Verfechter der Ausbeutung belgischer Kriegsgefangener als Zwangsarbeiter. Der Dreibund trug, insbesondere durch die Überwindung der Munitionskrise, maßgeblich zur Verlängerung des Krieges bei. 1919 erklärte Duisberg in einer Rede vor Vertretern der Industrie:

 

„Wie heute die Lage ist, wäre es sicherlich für uns alle besser, wir hätten uns nicht so angestrengt, oder es wäre uns nicht gelungen. Dann wäre der Krieg schon bald nach seinem Ausbruche zu Ende gewesen. Damit wäre sowohl für uns als auch für die ganze Kulturwelt, vor allem für diejenige Europas, jener traurige Zustand vermieden worden, unter dem wir heute alle leiden, nicht nur wir, sondern auch die anderen Völker.“[1]

 

Duisberg erhielt die Ehrendoktorwürden u.a. der Universitäten Bonn, Tübingen, Köln, Berlin und Heidelberg.

 

1925 war er neben Carl Bosch maßgeblich an der Gründung der I.G. Farbenindustrie AG beteiligt, deren Aufsichtsratsvorsitz er im folgenden Jahr übernahm. Ziel dieser Fusion war die „Beseitigung eines ruinösen Konkurrenzkampfes, behufs Erzielung eines möglichst hohen Gewinns“[2]. Duisberg war als Aufsichtsratsvorsitzender der I.G. Farbenindustrie zuständig für Personalien, Allgemeine Organisation, Statistik und verschiedene Produktionsbereiche. 1931forderte er in einer Rede vor der Industrie- und Handelskammer Düsseldorf die Schaffung eines europäischen Wirtschaftsblocks unter deutscher Dominanz.

 

Die führenden Vertreter der I.G. Farben, die zur Durchsetzung unternehmenspolitischer Interessen für verschiedene Parteien im Reichstag saßen, stimmten ihre Positionen im sog. „Kalle-Kreis“ ab. Um die Interessenswahrung der I.G. zu verbessern, entwickelte Duisberg das „System“ finanzieller Zuwendungen an politische Parteien weiter, indem er systematisch gleichzeitig Spenden an mehrere Parteien verteilen ließ. Gefördert wurden die konservative bis völkisch-nationalistische DNVP und das im katholischen Milieu verankerte Zentrum ebenso wie beide liberale Parteien, die nationalliberale DVP und die linksliberale DDP, sowie ab 1931 auch die NSDAP.

 

Duisberg selbst warb bei der Reichspräsidentenwahl 1932 für die Wiederwahl Hindenburgs. Die anfängliche Ablehnung der Politik der NSDAP gab die I.G. aus wirtschaftspolitischen Gründen rasch auf. 1931 erhielt die NSDAP ihre erste Parteispende von der I.G. Farben, nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler erhielt die NSDAP die bis dahin größte Einzelspende überhaupt – 400.000 RM. Zwei Jahre nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten starb Carl Duisbergam 19. März 1935 in Leverkusen.

(SP)



Quellen

Huck/Wejten, Nationale Treuhand. Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht, 5.4.1933, NI-391. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 3 (d), Bl. 123–127.

Georg von Schnitzler, Eidesstattliche Erklärung, 16.11.1947. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 3 (d), Dokument EC-439, Bl. 87–89.

 

Literatur

Hayes, Peter: Industry and Ideology: IG Farben in the Nazi Era. Cambridge/New York: Cambridge UP 1987.

Heine, Jens Ulrich: Verstand & Schicksal. Die Männer der I.G. Farbenindustrie A.G. Weinheim: VCH Verlagsgesellschaft 1990.

Köhler, Otto: …und heute die ganze Welt. Die Geschichte der IG Farben BAYER, BASF und HOECHST. Köln: PapyRossa 1990.

Lepick, Oliver: La Grande Guerre chimique: 1914–1918. Paris: Presses Univ. de France 1998.

Lindner, Stephan H.: Hoechst. Ein I.G. Farben Werk im Dritten Reich. München: Beck 2005.

Thiel, Jens: „Menschenbassin Belgien“: Anwerbung, Deportation und Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg. Essen: Klartext 2007, S. 109–113.

[1] Carl Duisberg: Abhandlungen, Vorträge und Reden aus den Jahren 1882–1921. Berlin: Verlag Chemie 1923, S. 566f., zit. n. Otto Köhler: …und heute die ganze Welt. Die Geschichte der IG Farben BAYER, BASF und HOECHST. Köln: PapyRossa 1990, S. 131.

[2] Stephan H. Lindner: Hoechst. Ein I.G. Farben Werk im Dritten Reich. München: Beck 2005, S. 14.