Glossar

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Herkunft und Anzahl ausländischer Zivilarbeiter/innen und Zwangsarbeiter/innen

Roter Winkel des polnischen politischen Monowitz-Häftlings Jerzy Kowalewski'© Jerzy Kowalewski
Roter Winkel des polnischen politischen Monowitz-Häftlings Jerzy Kowalewski
© Jerzy Kowalewski
Eine ukrainische Zwangsarbeiterin schweisst Rohre in I.G. Auschwitz'© Fritz Bauer Institut (Zahn-Nachlass)
Eine ukrainische Zwangsarbeiterin schweisst Rohre in I.G. Auschwitz
© Fritz Bauer Institut (Zahn-Nachlass)

Dem Arbeitskräftemangel im „Dritten Reich“ versuchten die Behörden mit der Anwerbung und Zwangsverpflichtung ausländischer Arbeitskräfte abzuhelfen. Mit den Feldzügen und der Eroberung europäischer Nachbarländer wurde die Zivilbevölkerung zur Arbeit herangezogen. Dies erfolgte entweder in den Betrieben vor Ort oder aber durch Verschickung nach Deutschland. So gelangten bis Ende des Jahres 1944 etwa 8,2 Millionen ausländische Zivilarbeiter/innen und Kriegsgefangene sowie 700.000 KZ-Häftlinge als Arbeitskräfte ins Deutsche Reich. Die ausländischen Zivilarbeiter/innen waren freiwillig nach Deutschland gekommen, oft unter dem Druck hoher Arbeitslosigkeit in ihren Herkunftsländern. Sie unterlagen sehr strengen Regeln und oftmals sehr schlechten Bedingungen. Unfreiwillig waren die Zwangsarbeiter/innen in Deutschland. Sie kamen aus folgenden Ländern:

 

Tschechoslowakei:

Seit Anfang 1939 warb das Deutsche Reich Fachkräfte aus dem Gebiet der Tschechoslowakei an. Bis Ende Juni 1939 kamen etwa 52.000 Tschechen ins Reich. Insgesamt hielten sich bis Kriegsende zwischen 340.000 und 370.000 Tschechinnen und Tschechen freiwillig, vor allem jedoch unfreiwillig als Arbeitskräfte in Deutschland auf.

 

Polen:

Etwa 420.000 polnische Soldaten waren in deutscher Gefangenschaft. Die meisten wurden nach kurzer Zeit entlassen, wodurch sie den Schutz durch die Bestimmungen der Genfer Konvention verloren. Anschließend wurden 200.000 von ihnen in Arbeitsverhältnisse gezwungen. Zudem wurden polnische Zivilpersonen bei Razzien gefangen genommen und zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt. Bereits im September 1939 traf dieses Schicksal 10.000 Menschen. Im September 1941 war rund eine Million polnischer Arbeitskräfte im Deutschen Reich registriert. Von den insgesamt 2,2 Millionen polnischen Arbeiter/innen, die sich während des Krieges in Deutschland aufhielten, waren nur etwa 5% freiwillig gekommen. Zusätzlich standen etwa 1,1 Millionen im Arbeitseinsatz im „Reichsgau Wartheland“; insgesamt waren also über 3 Millionen Polinnen und Polen auf dem Gebiet des „Großdeutschen Reichs“ zur Zwangsarbeit verpflichtet. Seit Ende 1940 wurden zudem mindestens 700.000 Juden und Jüdinnen in Ghettos und Zwangsarbeiterlagern zur Arbeit für deutsche Firmen oder die Wehrmacht gezwungen.

 

Dänemark:

Aus dem seit 9. April 1940 besetzten Dänemark arbeiteten etwa 80.000 Menschen in Deutschland, die meisten freiwillig. Infolge ihrer Klassifizierung als „germanisch“ konnten sie mit annehmbaren Arbeitsbedingungen rechnen.

 

Niederlande:

Ab März 1942 konnten dienstverpflichtete Arbeiter/innen auch nach Deutschland gebracht werden. Bis 1943 fanden darüber hinaus vereinzelt Razzien statt. Ab September 1944 führte die deutsche Besatzungsbehörde in den Niederlanden massenhaft Zwangsverpflichtungen zur Arbeit durch. Dabei wurden innerhalb weniger Tage 140.000 Niederländer/innen nach Deutschland gebracht und weitere 120.000 im Nordosten der Niederlande zu Schanz- und Befestigungsarbeiten eingesetzt. Insgesamt befanden sich bei Kriegsende zwischen 350.000 und 400.000 niederländische Zwangsarbeiter/innen im Deutschen Reich, 100.000 waren bis 1940 weitgehend freiwillig gekommen.

 

Belgien:

Aus Belgien kamen bis Sommer 1941 zunächst 189.000 Arbeiter/innen freiwillig nach Deutschland, Nach der Einführung der allgemeinen Arbeitspflicht im Oktober 1942 folgten ihnen bis 1945 rund 200.000 weitere unter Zwang.

 

Frankreich:

Neben rund 2 Millionen zum Arbeitseinsatz verpflichteten Französinnen und Franzosen innerhalb des besetzten Frankreichs wurden bis Frühjahr 1942 etwa 185.000 Arbeiter/innen zur Arbeit in Deutschland angeworben. Ab April 1942 galt die allgemeine Dienstpflicht, im Februar 1943 als Service Obligatoire de Travail (STO)institutionalisiert. Bis Kriegsende gelangten rund eine Million Zivilarbeiter/innen aus Frankreich ins Deutsche Reich. Dazu kamen rund 600.000 Kriegsgefangene bis September 1944.

 

Jugoslawien:

Bereits vor dem deutschen Überfall auf Jugoslawien im April 1941 arbeiteten 47.000 Kroaten und Slowenen im Deutschen Reich. Anschließend wurden Arbeitskräfte angeworben, so dass bei Kriegsende aus dem Königreich Jugoslawien etwa 100.000 Kroaten und Kroatinnen in Deutschland waren, die meisten jedoch auf freiwilliger Basis. Etwa 110.000 serbische und slowenische Kriegsgefangene wurden zum Arbeitseinsatz nach Deutschland verschleppt und weitere 100.000 serbische Zivilarbeiter/innen kamen „freiwillig“, um der Zwangsverpflichtung in serbischen Bergwerken zu entgehen.

 

Griechenland:

Nach der Besetzung Griechenlands im April 1941 zwang die deutsche Besatzungsbehörde rund 20.000 Griechinnen und Griechen auf Kreta, für die Deutschen zu arbeiten, zu einem großen Teil unter harten Bedingungen in den Bergwerken im Norden des Landes. In der folgenden Zeit wurden weitere 100.000 Griechinnen und Griechen zur Arbeit für die deutsche Wehrmacht dienstverpflichtet, darunter ab 1943 auch 16-Jährige. Trotz aufwändiger Werbung kamen nur 23.000 griechische Männer freiwillig nach Deutschland, weitere 12.000 als Zwangsarbeiter und 1.000 Kriegsgefangene.

 

Sowjetunion:

Ende 1941 billigte Hitler den Arbeitseinsatz sowjetischer Kriegsgefangener auch in Deutschland, den er zuvor kategorisch ausgeschlossen hatte. Nach Einführung der allgemeinen Arbeitspflicht im Dezember 1941 führten die Besatzungsbehörden Zwangsrekrutierungen durch. Da immer noch nicht die gewünschten Zahlen an Arbeiter/innen bereit standen, führten die Deutschen „Sklavenjagden“[1] durch, in denen wahllos Menschen von der Straße weg deportiert wurden. In der sogenannten Heuaktion im März 1944 wurden 28.000 10–14-jährige Jungen und Mädchen aus der Sowjetunion nach Deutschland deportiert. Insgesamt zogen die deutsche Besatzungsbehörden 22–27 Millionen Sowjetbürger/innen zur Zwangsarbeit heran (Jüdinnen und Juden mit eingerechnet); etwa 2,8 Millionen zivile Sowjetbürger/innen und etwa 630.000 Kriegsgefangene waren hierfür nach Deutschland verschleppt worden.

 

Italien:

Italienische Arbeiter/innen genossen zunächst als Bürger/innen eines verbündeten faschistischen Staates eine Sonderstellung. Zwischen März 1941 und Dezember 1942 kamen etwa 250.000 italienische Industriearbeiter/innen nach Deutschland. Ab März 1943 sollten diese auf Mussolinis Befehl nach Italien zurückkehren. Nach dessen Sturz im Juli 1943 und der deutschen Besetzung Roms untersagte die deutsche Verwaltung den noch in Deutschland arbeitenden Italiener/innen die Heimkehr. Nach Dienstverpflichtungen einiger Jahrgänge gingen die deutschen Truppen später auch zu Zwangsverpflichtungen über. Insgesamt kamen noch etwa 100.000 aus Oberitalien deportierte italienische Zivilpersonen und 600.000 sogenannte Italienische Militärinternierte bis 1945 nach Deutschland.

 

Ungarn:

Ungarn zählte seit den 1930er Jahren zu den Bündnispartnern des NS-Regimes. Insgesamt arbeiteten etwa 40.000 Ungarinnen und Ungarn freiwillig in Deutschland. Zur Zwangsarbeit wurde vor allem die jüdische Bevölkerung herangezogen, soweit sie nicht zwischen April und Juli 1944 nach Auschwitz deportiert wurde.

 

Weitere Zwangsarbeiter/innengruppen:

Weitere Arbeiter/innen kamen aus Bulgarien (etwa 30.000), Rumänien (weniger als 9.000), Spanien (einige tausend) und der Schweiz (16–18.000). Zudem wurden britische (100.000) und einige amerikanische Kriegsgefangene zur Arbeit eingesetzt.

(BG/SP)



Literatur

Herbert, Ulrich: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches. Berlin/Bonn: Dietz 1985.

Maier, Dieter G.: Arbeitsverwaltung und NS-Zwangsarbeit. In: Ulrike Winkler (Hg.): Stiften gehen. NS-Zwangsarbeit und Entschädigungsdebatte. Köln: PapyRossa 2000, S. 67–84.

Spoerer, Mark: Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Stuttgart/München: DVA 2001, bes. Tabellen auf S. 221–223.

[1] Mark Spoerer: Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Stuttgart/München: DVA 2001, S. 74.