Glossar

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Arbeitsfreie Zeit

Im KZ Buna/Monowitz stand den Häftlingen nur sehr wenig arbeitsfreie Zeit zur Verfügung. Die wenige Zeit, die am Abend zwischen Appell, Essen und Nachtruhe frei war, wurde von vielen zum Organisieren von Lebensmitteln oder anderen Dingen bzw. zur Herstellung von Gütern genutzt, die sich eintauschen ließen. So gehörte auch das Malen von Postkarten oder die Anfertigung von Spielzeug zur Untergrundökonomie des Lagers, durch die sich einzelne Häftlinge bei Kapos oder Meistern zusätzliches Essen verschaffen konnten.

 

Einmal im Monat Post empfangen und schreiben durften nur „arische“ Häftlinge; nach 1943 war es ihnen auch gestattet, Pakete zu empfangen. Allerdings mussten jüdische Häftlinge aus Deutschland, Österreich und der ČSR zweimal während des Bestehens des Lagers Postkarten an Angehörige schicken, auf denen sie behaupten mussten, es ginge ihnen gut. Die Politische Abteilung hoffte, so zusätzliche Adressen von noch nicht verhafteten Juden und Jüdinnen zu erhalten.

 

Offiziell war jeder zweite Sonntag arbeitsfrei, aus „disziplinarischen Gründen“ musste jedoch häufig trotzdem gearbeitet werden. Gab es tatsächlich einen freien Sonntag, so wollten sich die meisten Häftlinge einfach ausruhen, doch waren sie auch darin häufig von der Willkür der SS bedroht. Nur Privilegierte hatten die Energie, sich mit anderem zu befassen. SS und Häftlingsprominenz veranstalteten zu ihrer Unterhaltung an Sonntagnachmittagen häufig Konzerte, Theater oder Sportveranstaltungen, von denen die einfachen Häftlinge ausgeschlossen waren. PolitischeWiderstandsgruppen in Monowitz nutzten die Zeit solcher Veranstaltungen, um sich in der Schreibstube oder im Krankenbau zu treffen.

 

Ab dem Sommer 1943 gab es im KZ Buna/Monowitz ein Lagerorchester, das mit herausragenden Musikern aus ganz Europa besetzt war und von dem polnischen Häftling Stanislav Bronek geleitet wurde. Das Orchester hatte morgens beim Ausmarsch und abends bei der Rückkehr der Häftlinge ins Lager zu spielen, sowie an manchen Sonntagnachmittagen der SS Konzerte zu geben. Auch bei Hinrichtungen musste das Orchester spielen.

 

An Sportveranstaltungen gab es manchmal sonntagnachmittags Fußballspiele zwischen deutschen und polnischen Häftlingen auf dem Appellplatz, an denen teilzunehmen sich aber auf Grund der notwendigen Kraftreserven nur Prominente leisten konnten. Ein besonderes Interesse zeigte die SS an Boxkämpfen, sommers auf dem Appellplatz, winters in einem Block. Paul Steinberg beschreibt sehr anschaulich, wie der ehemalige Boxweltmeister Victor „Young“ Perez bei seiner Ankunft in Monowitz zunächst zur Arbeit in der Küche eingeteilt wurde, um ihn für einen Kampf zu stärken. Nachdem die SS aber ihre Unterhaltung gehabt hatte – sowohl Young Perez als auch der französische Boxer Robert Lévy mussten je gegen einen SS-Mann einen Schaukampf austragen, den sie nicht wirklich zu gewinnen versuchen durften –, wurde Young Perez aus der Küche in ein hartes Kommando versetzt und starb wenige Monate später als Muselmann. Auch Robert Lévy überlebte Buna/Monowitz nicht.[1]

 

Während manchen Häftlingen die Pflege ihrer kulturellen Bindungen durch Gespräche über Kunst und Kultur oder die Ausübung ihrer Religion in der wenigen freien Zeit wichtig war und ihnen half, zu überleben, nutzte die Lagerprominenz besondere Anlässe, wie Geburtstage hoher Lagerfunktionäre, zu Festgelagen mit organisierten Lebensmitteln, die wohl auch einer Demonstration des Hierarchieunterschieds innerhalb des Lagers dienen sollten.

(MN) 



Quellen

Benjamin Grünfeld, Lebensgeschichtliches Interview [Schw.], 12.1.2008. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Norbert Wollheim Memorial.

[Posener, Curt]: Zur Geschichte des Lagers Auschwitz-Monowitz (BUNA). Unveröffentlichtes Manuskript, undatiert, 53 Seiten. Archiv des Fritz Bauer Instituts.

 

Literatur

Betlen, Oszkár: Leben auf dem Acker des Todes. Berlin: Dietz 1962.

Sachnowitz, Herman: Auschwitz. Ein norwegischer Jude überlebte. Geschrieben von Arnold Jacoby. Frankfurt am Main/Wien/Zürich: Büchergilde Gutenberg 1981.

Steinberg, Paul: Chronik aus einer dunklen Welt. Ein Bericht. Aus dem Französischen von Moshe Kahn. München: Hanser 1998.

Wagner, Bernd C.: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. München: Saur 2000.

White, Joseph Robert: IG Auschwitz: The Primacy of Racial Politics. Dissertation, University of Nebraska at Lincoln, NE, 2000.

[1] Vgl. Paul Steinberg: Chronik aus einer dunklen Welt. Ein Bericht. Aus dem Französischen von Moshe Kahn. München: Hanser 1998, Kap. „Der letzte Kampf“.