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Häftlingsunterkünfte

Aufteilung des Innenraums einer Baracke'© Henri Sonnenbluck
Aufteilung des Innenraums einer Baracke
© Henri Sonnenbluck

 a  Gustav und Fritz Kleinmann kamen Ende Oktober 1942 aus Buchenwald zunächst nach Auschwitz I, wenige Tage später in das neu errichtete Lager Buna/Monowitz. Fritz Kleinmann beschreibt das Lager folgendermaßen: „Auf freiem Feld, nur ein paar Holzbaracken standen in der Gegend, sollte das neue KZ aufgebaut werden. Wahllos wurden wir in die Holzblocks getrieben, Papa versuchte, daß ich bei ihm blieb und daß wir nicht von unseren Freunden getrennt  wurden. Um die Baracken gab es weder Stacheldraht noch eine andere Umzäunung, genauso noch keinen Waschraum, nur einige Wasserhähne auf den Feldern. Wer seine Notdurft verrichten wollte, mußte sich beim Blockältesten und beim SS-Posten melden. Für uns gab es in der Baracke nur einen Schlafraum. In den Tagesraum durften wir nicht hinein, er war nur ‚arischen‘ deutschen Kapos und den polnischen Vorarbeitern zugänglich. Wir konnten also nur am Bett sitzen, bekamen zu zweit ein Bett zugewiesen – ich war wieder mit meinem Vater in einem Bett. Das Essen mussten wir im Freien vor der Baracke einnehmen, auch gab es in Monowitz noch keine Küche, das Essen kam aus Auschwitz. Die Baracken waren noch ohne Licht, lediglich am Feld standen ein paar Scheinwerfer.“

(Fritz Kleinmann: Überleben im KZ. In: Reinhold Gärtner / Fritz Kleinmann (Hg.): Doch der Hund will nicht krepieren… Tagebuchnotizen aus Auschwitz. Thaur: Kulturverlag 1995, S. 34–114, hier S. 64.)

 

 b  „Wer mein Bettkamerad ist, weiß ich nicht. Ich bin nicht einmal sicher, daß er immer ein und derselbe ist, denn ich habe ihn nie von Angesicht gesehen, es sei denn für kurze Augenblicke mitten im Aufruhr des Weckens, so daß ich seinen Rücken und seine Füße weit besser als sein Gesicht kenne. Er arbeitet nicht in meinem Kommando und kommt erst ins Bett, wenn Stillschweigen befohlen ist; er rollt sich in die Decke, schubst mich mit seinen knochigen Hüften beiseite, dreht mir den Rücken zu und fängt augenblicklich zu schnarchen an. Rücken gegen Rücken versuche ich, mir einen angemessenen Platz auf dem Strohsack zu erkämpfen; mit meinem Kreuz drücke ich immer stärker gegen sein Kreuz, drehe mich anders herum und nehme die Knie zu Hilfe, ergreife seine Füße und bemühe mich, sie etwas von meinem Gesicht wegzuschieben. Aber alles ist vergeblich, denn er ist bedeutend schwerer als ich, und der Schlaf scheint ihn versteinert zu haben. Da bleibe ich eben so liegen, zur Regungslosigkeit verdammt und halb auf der Holzkante: Immerhin bin ich dermaßen müde, daß auch ich bald dem Schlaf verfalle, und mir ist, als läge ich auf Eisenbahnschienen.“

(Primo Levi: Ist das ein Mensch? Erinnerungen an Auschwitz. Frankfurt am Main: Fischer 1961, S. 61.)

 

 c  „Es muss dreiundzwanzig Uhr durch sein, denn schon herrscht reges Gelaufe zum Eimer neben der Nachtwache […] Aber es geht nicht nur um die Prozession zum Eimer; es ist Gesetz, daß der letzte Benutzer den Eimer zur Latrine bringt und ausleert, ebenso wie es Gesetz ist, daß man nachts nur in Nachtkluft (Hemd und Unterhose) aus der Baracke gehen darf und seine Nummer der Nachtwache hinterlassen muß […] Unversehens kommt die Nachtwache aus ihrer Ecke geschossen und packt uns, schmiert sich unsere Nummer auf einen Zettel, übergibt uns ein Paar Holzsohlen und den Eimer und jagt uns, zitternd und schlaftrunken, mitten in den Schnee hinaus. Immer wir müssen uns zur Latrine hinquälen mit diesem Eimer, der uns widerlich warm an die nackten Waden schlägt; über jedes vernünftige Maß ist er voll, und durch die Erschütterungen schwappt uns unvermeidlich etwas über die Füße, so daß es bei aller Ekelhaftigkeit dieses Dienstes immer noch besser ist, wir selbst werden dazu abkommandiert und nicht unser Bettkamerad.“

(Primo Levi: Ist das ein Mensch? Erinnerungen an Auschwitz. Frankfurt am Main: Fischer 1961, S. 63.)

Im März 1942 wurde mit der Errichtung des Lagers IV für Zivilarbeiter, das spätere KZ Buna/Monowitz, mit einer Ausdehnung von etwa 500 x 270 Metern begonnen. Das auf dem dazu bestimmten Baugelände befindliche Dorf Monowice wurde zuvor von dem sogenannten Außenkommando abgerissen und dem Erdboden gleich gemacht. 

 

Nach der Errichtung des Lagers fanden die ersten Ende Oktober 1942 ankommenden 600 Häftlinge sechs bis acht Holzbaracken vor, in denen für jeden eine Schlafpritsche bereitstand. Diese Baracken waren ursprünglich für je 55 Zivilarbeiter ausgelegt. Sie waren aus Holzfertigteilen zusammengesetzt, je etwa 26 Meter lang und acht Meter breit und an die Fernheizung des Buna-Werks angeschlossen. Mit den in kurzer Folge ankommenden Transporten war das Lager nach wenigen Wochen überfüllt. In jeder Baracke wurden bis zu 250 Häftlinge gedrängt untergebracht. Im Schnitt teilten sich zwei, manchmal auch drei bis vier Häftlinge einen Schlafplatz, der Kopf des einen an den Füßen des anderen liegend.  a  

 

Das KZ Buna/Monowitz wurde in mehreren Schritten erweitert: Die Häftlinge mussten bis Frühjahr 1943 täglich neun Stunden auf der Baustelle der I.G. und anschließend drei bis vier Stunden am Lagerausbau arbeiten. Zuletzt war das Lager auf 56 durchnummerierte Baracken angewachsen, in der Lagersprache auch „Blocks“ genannt. Darunter befanden sich, neben den Baracken, die als Unterkünfte dienten, neun Baracken, in denen der Häftlingskrankenbau eingerichtet wurde, fünf Baracken belegte das so genannte Arbeitserziehungslager, je eine war reserviert für das Lagerbordell, die Küche, die Schreibstube und die Kleiderkammer. Daneben gab es einen „Prominentenblock“ für bis zu 50 Funktionshäftlinge. Ein Teil der lagerinternen Kommandos und Kapos wurde in ihren Werkstätten einquartiert.

 

Jede Baracke wurde von einem Blockältesten geleitet, dem weitere Funktionshäftlinge zur Seite standen. Räumlich waren die Blocks zweigeteilt: Ein Raum war mit dreistöckigen Betten ausgestattet, in ihm schlief die Mehrzahl der Häftlinge. Ein weiterer Raum, der sogenannte „Tagesraum“, war für den Blockältesten und seine unmittelbaren Untergebenen und Freunde reserviert. In ihm befanden sich verschließbare Schränke, Tisch und Bänke und – separat – ein Bett für jeden; für die ‚gewöhnlichen‘ Häftlinge ein unerreichbarer Luxus. Der Tagesraum diente auch dem Austeilen der Suppe und dazu, die Insassen vor einer Selektion zu versammeln.

 

‚Gewöhnliche‘ Häftlinge hatten meist nur eine halbe Schlafpritsche als ‚Privatsphäre‘ zur Verfügung. Hier musste die Suppe verzehrt und durchnässte Kleidung getrocknet werden. Die oft von der Bauarbeit verschmutzte Häftlingsuniform, fehlende Möglichkeiten zur Körperhygiene, Ungeziefer und Krankheiten aller Art in Kombination mit der Fernwärme verursachten Gestank und Sauerstoffmangel in den Blocks, die die Häftlinge insbesondere nachts quälten und sie so um den dringend benötigten Schlaf brachten.  b 

 

Das Leben in der Baracke war stark reglementiert: Nach dem Wecken musste einer der Schlafkameraden das „Bett bauen“, also die Strohmatratze glattstreichen, die dünne Decke straff darüber ziehen und das Kissen rechteckig ausrichten. Dies musste in großer Eile und auf allen drei Stockbetten geschehen. Fiel das gemachte Bett bei der Kontrolle negativ auf, hatten die Häftlinge abends mit Bestrafungen zu rechnen. In der Baracke durfte nicht gefrühstückt werden. Die Häftlinge mussten ihr karges Mahl bei jedem Wetter im Freien verzehren. Der Stubendienst war für die Sauberkeit der Baracke verantwortlich und hatte sie jeden Tag zu kehren und zu schrubben. Nachts mussten die Häftlinge ihre Notdurft in einen Eimer neben dem Eingang verrichten. War dieser voll, wurde der nächste Benutzer im bloßen Hemd auf die Latrine zum Entleeren geschickt. Dabei war es unvermeidlich, sich zu beschmutzen.  c 

 

Die schweren Lebensbedingungen brachten es mit sich, dass Diebstahl an der Tagesordnung war. Die Häftlinge mussten deshalb ihren gesamten Besitz im Schlaf bei sich führen. „Wenn ein Gefangener weitere Schätze besaß, versteckte er sie zusammen mit dem Essgeschirr in der Holzwolle seiner Matratze oder des Kissens.“[1]

 

Schlimmer noch als in den Baracken waren die Zustände in zwei großen Zelten, die im Sommer 1943 aufgestellt wurden, um die zahlreichen Neuankömmlinge aufzunehmen. Auf gekiestem Boden standen die üblichen, dreistöckigen Betten, jedes Zelt war für etwa 700 Häftlinge ausgelegt. Schnell waren jedoch über 1.000 Häftlinge in ihnen eingepfercht. Im Sommer stickig heiß und im Winter unbeheizt, waren diese bis mindestens Weihnachten 1943, möglicherweise sogar bis Oktober 1944 in Gebrauch.

(SP)



Quellen

Reinhard Florian, Lebensgeschichtliches Interview [Dt.], 20.8.1998. USC Shoah Foundation Institute, Survivors of the Shoah Visual History Archive, Code 46313.

Benjamin Grünfeld, Lebensgeschichtliches Interview [Schw.], 12.1.2008. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Norbert Wollheim Memorial.

Julius Paltiel, Lebensgeschichtliches Interview [Norw.], 7./8.6.2007. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Norbert Wollheim Memorial.

 

Literatur

Keller, Stefan: Die Rückkehr. Joseph Springs Geschichte. Zürich: Rotpunkt 2000.

Kielar, Wieslaw: Anus Mundi. Fünf Jahre Auschwitz. Frankfurt am Main: Fischer 1979.

Kleinmann, Fritz: Überleben im KZ. In: Reinhold Gärtner / Fritz Kleinmann (Hg.): Doch der Hund will nicht krepieren… Tagebuchnotizen aus Auschwitz. Thaur: Kulturverlag 1995, S. 34–114.

Levi, Primo: Ist das ein Mensch? Erinnerungen an Auschwitz. Frankfurt am Main: Fischer 1961.

Wagner, Bernd C.: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. München: Saur 2000.

White, Joseph Robert: IG Auschwitz: The Primacy of Racial Politics. Dissertation, University of Nebraska at Lincoln, NE, 2000.

[1] Stefan Keller: Die Rückkehr. Joseph Springs Geschichte. Zürich: Rotpunkt 2000, S. 122.