Glossar

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Tagesablauf

Häftlinge beim Ausmarsch zur Arbeit'© Fritz Bauer Institut (Bestand APMO / Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau)
Häftlinge beim Ausmarsch zur Arbeit
© Fritz Bauer Institut (Bestand APMO / Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau)

 a  „Selektionen fanden etwa alle 14 Tage statt. Morgens, beim Ausmarsch aus dem Lager mussten die Häftlinge langsam in Fünferreihen vor einer Selektionskommission vorbeimarschieren. Die Kommission bestand meistens aus dem Lagerkommandanten, Lagerführer, Lager-Arbeitsführer, Lagerarzt und immer mehreren Zivilisten, die dem Arbeitsstab der I.G. Farben angehörten. Die Häftlinge rissen sich zusammen, wenn sie vorbeimarschierten, da sie alle wussten, dass das Herausholen aus der Fünferreihe der sichere Tod durch Vergasung in Birkenau bedeutete.“

(Rudolf Vitek, Eidesstattliche Erklärung, 3.3.1947, NI-4830. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 (d), Bl. 61–69, hier Bl. 64.)

 

 b  „Wieder ertönt unvermutet der Ruf zur letzten Funktion des Tages: ‚Wer hat kaputte Schuhe?‘;und augenblicklich bricht der Spektakel von vierzig oder fünfzig Tauschanwärtern los, die Hals über Kopf zum Tagesraum stürzen, wenn sie auch genau wissen, daß allenfalls die ersten zehn zufriedengestellt werden können.

Dann ist es still.“ 

(Primo Levi: Ist das ein Mensch? Erinnerungen an Auschwitz. Frankfurt am Main: Fischer 1961, S. 60.)

Die Tage der Häftlinge im KZ Buna/Monowitz bestanden aus vielen Stunden meist schwerer Arbeit, ungenügendem Essen und daher den ständigen Versuchen, zusätzliches Essen zu organisieren. Die Häftlinge wurden im Sommer um 5 Uhr, im Winter um 6 Uhr morgens mit einem Gongschlag auf dem Appellplatz geweckt, nach anderen Angaben schon um 4.30 Uhr. In vielen Fällen unternahmen es die Stubendienste, das Aufstehen durch „Raus, raus“-Gebrüll und manchmal durch Prügel zu beschleunigen. Dann hatten die Häftlinge eine halbe Stunde, um die wenigen Waschräume aufzusuchen und etwas „Ersatzkaffee“ zu ‚frühstücken‘, bevor sie um 5.30 Uhr, im Winter um 6.30 Uhr zum Zählappell antreten mussten. Zum Appell hatten sich die Häftlinge nach ihren Blocks aufzustellen. Er dauerte morgens in der Regel etwa eine halbe Stunde.

 

Dann wurden die Arbeitskommandos geformt, Änderungen in der Einteilung der Häftlinge in die Kommandos wurden bereits am Abend zuvor festgelegt. Sobald die SS eine Postenkette zur und um die Baustelle gebildet hatte, mussten die Kommandos ausrücken. Bei Nebel verzögerte sich dies, bis die SS keine Fluchtgefahr mehr sah. Als erste mussten die Häftlinge ausmarschieren, deren Arbeitsplatz am weitesten entfernt auf der Baustelle lag. Die Kapos hatten am Lagertor die Stärke ihres Kommandos zu nennen; die im Lager arbeitenden Kommandos mussten ihre Stärke bis 10 Uhr in der Schreibstube melden. Zum Ausmarsch spielte die Lagerkapelle, die Häftlinge hatten im Takt zu marschieren. An manchen Tagen wurden morgens am Lagertor von der SS als nicht mehr ‚arbeitsfähig‘ erscheinende Häftlinge selektiert, dies geschah unter Beteiligung von I.G.-Angestellten.  a  Die selektierten Häftlinge wurden später am Tag mit Lastwagen zur Ermordung nach Birkenau gebracht.

 

Auf der Baustelle mussten die Häftlinge häufig sehr schwere Arbeiten im Freien und ohne die nötige Schutzkleidung verrichten. Um 12h gab es eine Stunde Mittagspause, in dieser erhielten die Häftlinge einen 3/4 Liter wässrige Gemüsesuppe, die sog. „Buna-Suppe“, die kaum einen Nährwert enthielt. Am Ende der Mittagspause wurde erneut die Vollzähligkeit festgestellt. Dann musste weitergearbeitet werden bis 18 Uhr, im Winter bis 17 Uhr bzw. bis zum Einbruch der Dunkelheit.

 

Die Kommandos mussten in umgekehrter Reihenfolge wieder ins Lager einrücken, wobei die Kapos die Stärke ihres Kommandos erneut am Lagertor zu melden hatten. Dann mussten sich die Häftlinge blockweise auf dem Appellplatz aufstellen. Im Laufe des Tages Verstorbene und auch Verletzte wurden dabei von ihren Mithäftlingen zum Appell geschleppt, da die Anzahl mit der des morgendlichen Ausrückens übereinzustimmen hatte. Der Abendappell dauerte eine Stunde oder auch länger. Es wurde gezählt und manchmal wurden auch Häftlinge öffentlich bestraft oder z.B. nach Fluchtversuchen hingerichtet. Nach dem Appell mussten manchmal noch Ausbauarbeiten im Lager durchgeführt werden, bevor die Häftlinge in ihre Blocks zurückkehren durften. Dort erhielten sie noch einmal Suppe und etwas Brot mit Margarine, das als Frühstück für den nächsten Morgen gedacht war. Allerdings aßen viele der Häftlinge das Brot aus Hunger und Angst vor Diebstahl sofort. Danach hatten die Häftlinge ein wenig freie Zeit, die in vielen Fällen für einen Besuch im Krankenbau, zum Instandsetzen von Kleidung oder Tauschen von Schuhen und anderen Dingen verwendet werden konnte  b , oder auch zum Gespräch mit Verwandten oder Freunden.

 

Um 21.30 Uhr im Sommer, um 21 Uhr im Winter kündigte ein Gongschlag die Nachtruhe an, das Licht wurde abgedreht. Danach durften Häftlinge die Blocks nur noch verlassen, um zur Latrine auf Toilette zu gehen. Auf Grund der völligen Überbelegung der Blocks und der hygienischen Verhältnisse war eine erholsame Nachtruhe für die meisten Häftlinge kaum möglich.

(MN) 



Quellen

Gregoire M. Afrine, Eidesstattliche Erklärung, 5.6.1947, NI-7184. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 (d), Bl. 98–102.

Kai Feinberg, Eidesstattliche Erklärung, 13.3.1947, NI-4822. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 (d), Bl. 58–60.

Gerhard Maschkowski, Lebensgeschichtliches Interview [Dt.], 29.6.2007. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Norbert Wollheim Memorial.

Rudolf Vitek, Eidesstattliche Erklärung, 3.3.1947, NI-4830. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nürnberger Nachfolgeprozess Fall VI, ADB 75 (d), Bl. 61–69.

 

Literatur

Kleinmann, Fritz: Überleben im KZ. In: Reinhold Gärtner / Fritz Kleinmann (Hg.): Doch der Hund will nicht krepieren… Tagebuchnotizen aus Auschwitz. Thaur: Kulturverlag 1995, S. 34–114.

Levi, Primo: Ist das ein Mensch? Erinnerungen an Auschwitz. Frankfurt am Main: S. Fischer 1961.

Wagner, Bernd C.: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. München: Saur 2000.