Glossar

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Personal und Organisationsstruktur des Häftlingskrankenbaus

 a  „In diesen Zwischenraum hatte ich dann später die selbstgebastelten Handgranaten versteckt. Diese glaubten wir zu benötigen, weil wir nicht wußten, was die SS beim Näherrücken der Front beabsichtigte, und wir hofften, dass die Partisanen das Lager von Außen angreifen würden, so dass wir dann von innen helfen könnten […] Am 18. Januar 1945 begann der Abmarsch aus dem Lager bei winterlichen Temperaturen und hohem Schnee. Vorher habe ich noch Unterlagen des Krankenbaus und auch solche der Häftlingsschreibstube, die verbrannt werden sollten, in Marmeladeneimer verpackt und verlötet und die Eimer anschließend in der Jauchegrube versenkt.“

(Dr. Heinz Kahn: Erlebnisse eines jungen deutschen Juden in Hermeskeil, Trier, Auschwitz und Buchenwald in den Jahren 1933 bis 1945. In: Johannes Mötsch (Hg.): Ein Eifler für Rheinland-Pfalz. Festschrift für Franz-Josef Heyen. Mainz: Gesellschaft für mittelrheinische Kirchengeschichte 2003, S. 641–659, hier S. 655.)

Ab Einrichtung des Häftlingskrankenbaus (HKB) wurden unter den nach Auschwitz Deportierten, die bei ihrer Ankunft einen medizinischen Abschluss angegeben hatten, Ärzte für den HKB im KZ Buna/Monowitz rekrutiert. Assistenten und Pfleger dagegen mussten nicht zwingend medizinische Vorkenntnisse besitzen. Insbesondere in der Anfangszeit agierte das Personal daher oftmals unkundig oder gar roh, verkaufte etwa Teile der für die Kranken vorgesehenen Portionen Suppe gegen Zigaretten oder Kleidungsstücke. Oftmals wurden Kranke auch wegen geringster Vergehen verprügelt.

 

Zunächst arbeiteten in der Ambulanz zwei bis drei Häftlingsärzte und wenige Häftlingspfleger, ernster Erkrankte mussten in den HKB des Stammlagers überwiesen werden. Später wurden verstärkt fachlich qualifizierte Häftlinge eingesetzt. Es handelte sich um mindestens neun Ärzte, oftmals international anerkannte Spezialisten auf ihrem Gebiet. Dazu kame n in jedem der neun Blocks des HKB je vier bis fünf Pfleger und eine Schreibkraft. Einzelne Kranke wurden nach ihrer Genesung als Pfleger weiterbeschäftigt. Daneben wurden im HKB stets auch Häftlinge heimlich beschäftigt, die etwa handwerkliche Arbeiten versahen. Die Arbeit im HKB war begehrt, sie „galt als vergleichsweise leicht und bot die Aussicht auf eine bessere Verpflegung“[1].

 

Auch wenn die Behandlungsmöglichkeiten begrenzt waren, hatte das Personal Möglichkeiten, den Häftlingen das schwere Leben zu erleichtern: Überlebende berichten von Hilfeleistungen aus dem Krankenbau, von kräftigender Kost, Warnung vor oder Rettung bei einer Selektion oder Versorgung mit seltenen Medikamenten. Außerdem konnten bei drohender Gefahr von Selektionen Genesende in ein leichtes Kommando im Lager entlassen werden oder mit einer neuen Krankenkarte in eine andere Abteilung überführt werden. Ärzte und Pfleger standen vor einem moralischen Dilemma: Entgegen ihrer beruflichen Gepflogenheiten mussten sie sich oftmals zum „Herr über Leben und Tod“ machen, mussten entscheiden, wer in den Genuss der geringen Ressourcen kommen sollte und wer nicht. Die Hilfeleistungen von Häftlingsärzten wurden oftmals unterschiedlich wahrgenommen: gegen den Lagerältesten Stefan Budziaszek (Buthner), vom polnischen Häftlingsarzt Antoni Makowski als derjenige beschrieben, der den „Krankenbau zu voller Entwicklung“[2] führte, wurde in Zusammenhang mit dem Frankfurter Auschwitz-Verfahren ermittelt: In dem Verfahren warfen ihm jüdische Häftlinge Antisemitismus vor, er habe polnische Häftlinge bevorzugt und „ausschließlich Juden“[3] zur Selektion vorgeschlagen.

 

Die Angestellten des Krankenbaus standen – auch wegen der schlimmen Zustände, dem Gestank und der Infektionsgefahr – nicht permanent unter SS-Aufsicht. Viele nutzten dies, um Aktivitäten des Widerstands zu planen.  a  Der Krankenbau bildete eine parallele Struktur zur Lagerorganisation, ihm stand ein eigener Lagerältester vor. Diese Position hatten zunächst zwei politische Häftlinge, Ludwig Wörl und Heinrich Schuster, inne. Sie wurden zwar von Mithäftlingen als „menschlich“ beschrieben, ihr „Fehlen jeder Qualifikation“ hatte jedoch „negative Auswirkungen auf die Versorgung der Patienten“[4] in Form einer extrem hohen Todesrate. Ihnen folgte ab Juni 1943 der polnische Arzt Stefan Budziaszek. Sein unmittelbarer Vorgesetzter war der zuständige SS-Arzt[5], bzw. in dessen Abwesenheit, der Sanitätsdienstgrad (SDG)[6], ebenfalls SS. Der SS-Arzt und der SDG waren es auch, die, begleitet vom Lagerältesten, dem jeweiligen Blockarzt und einem Häftlingsschreiber, Selektionen im HKB vornahmen.

 

Auch wenn die meisten Häftlinge im Krankenbau den Selektionen zum Opfer fielen, starben insbesondere im Winter Häftlinge an Krankheiten oder Auszehrung. Allein zwischen November 1942 und März 1943 starben etwa 580 Kranke. Ihre Leichen wurden in der Leichenkammer gesammelt und mit Lastwagen in die Krematorien nach Birkenau gebracht.

(SP)



Quellen

Max Drimmer, Lebensgeschichtliches Interview [Eng.], 3.7.2007. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Norbert Wollheim Memorial.

Heinz Kahn, Lebensgeschichtliches Interview [Dt.], 11.7.2007. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Norbert Wollheim Memorial.

Ernest W. Michel, Lebensgeschichtliches Interview [Eng.], 5.7.2007. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Norbert Wollheim Memorial.

Julius Paltiel, Lebensgeschichtliches Interview [Norw.], 7./8.6.2007. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Norbert Wollheim Memorial.

[Posener, Curt]: Zur Geschichte des Lagers Auschwitz-Monowitz (BUNA). Unveröffentlichtes Manuskript, undatiert, 53 Seiten. Archiv des Fritz Bauer Instituts.

Miroslav Ribner, Lebensgeschichtliches Interview [Serbokroat.], 8.12.2007. Archiv des Fritz Bauer Instituts, Norbert Wollheim Memorial.

 

Literatur

Kahn, Dr. Heinz: Erlebnisse eines jungen deutschen Juden in Hermeskeil, Trier, Auschwitz und Buchenwald in den Jahren 1933 bis 1945. In: Johannes Mötsch (Hg.): Ein Eifler für Rheinland-Pfalz. Festschrift für Franz-Josef Heyen. Mainz: Gesellschaft für mittelrheinische Kirchengeschichte 2003, S. 641–659.

Levi, Primo / Debenedetti, Leonardo: Bericht über die hygienisch-gesundheitliche Organisation des Konzentrationslagers für Juden in Monowitz (Auschwitz – Oberschlesien). In: Primo Levi: Bericht über Auschwitz. Hg. v. Philippe Mesnard. Berlin: BasisDruck 2006, S. 57–96.

Makowski, Antoni: Organisation, Entwicklung und Tätigkeit des Häftlings-Krankenbaus in Monowitz (KL Auschwitz III). In: Hefte von Auschwitz 15 (1975), S. 113–181.

Wagner, Bernd C.: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. München: Saur 2000.

White, Joseph Robert: IG Auschwitz: The Primacy of Racial Politics. Dissertation, University of Nebraska at Lincoln, NE, 2000.

[1] Bernd C. Wagner: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. München: Saur 2000, S. 164.

[2] Antoni Makowski: Organisation, Entwicklung und Tätigkeit des Häftlings-Krankenbaus in Monowitz (KL Auschwitz III). In: Hefte von Auschwitz 15 (1975), S. 113–181, hier S. 122.

[3] Wagner: IG Auschwitz, S. 196.

[4] Wagner: IG Auschwitz, S. 165.

[5] Nacheinander übten diese Funktion folgende SS-Ärzte aus: Bruno Kitt, Hellmuth Vetter, Friedrich Entress, Werner Rohde, Horst Fischer und Hans-Wilhelm König. Vgl. Makowski: Organisation, S. 128–129, bzw. die Texte „Organisationsstruktur und Kommandantur des KZ Buna/Monowitz“ und „Die Selektion zwischen ‚arbeitsfähigen‘ und ‚nicht arbeitsfähigen‘ Häftlingen“ auf dieser Website.

[6] Dies war die längste Zeit im KZ Buna/Monowitz Gerhard Neubert; sein Vorgänger war Franz Wloka gewesen, vgl. Makowski: Organisation, S. 129.