Autobiografische Literatur
„There is a distance both temporal and psychological separating the memoirist from the event, and that distance is called memory. This is as true for the diarist, transcribing incidents and feelings which transpired only moments or hours before, as it is for the autobiographer delineating personalities and events half a century later; as true for the Holocaust writer as for others. But for those that have suffered the extremes of inhumanity and deprivation, as in the ghettos and death camps of the Final Solution, recovering memories entails a re-covering of exposed and vulnerable selves with which there may be no coming to terms.“[1]
Anlass des Schreibens autobiografischer Literatur ist zumeist eine Auseinandersetzung mit oder eine Darstellung der eigenen Persönlichkeit. Autobiografien von Überlebenden des Holocaust unterscheiden sich in vielen Fällen von anderer autobiografischer Literatur darin, dass ein zentraler Antrieb dieser Form von Zeugnis ist, über die Verbrechen der Nationalsozialisten an ihren Opfern zu berichten, damit diese nicht vergessen werden. Die Erzählung vom eigenen Leben legt Zeugnis ab von einem größeren historischen Zusammenhang und von den nationalsozialistischen Verbrechen. Aufgrund der wichtigen Rolle, die der Holocaust in diesen autobiografischen Texten spielt, erscheint es notwendig, in ihrer Analyse besonders auf das Verhältnis ‚objektiver‘ Wahrheiten, wie sie historische Literatur zu liefern anstrebt, und ‚subjektiver‘ Wahrheiten individuellen Erlebens im Text zu achten. Immer wieder wurden an Zeugnisse von Überlebenden Fragen nach ihrem historischen Wahrheitsgehalt herangetragen, oft die Möglichkeiten und Absichten begrenzter persönlicher und manchmal literarischer Erzählung im Verhältnis zu ‚historisch exakter‘ Darstellung missverstehend. Eine wichtige Rolle spielt die Erzählperspektive eines Berichts, die Art und Weise, wie die Veränderung der Vergangenheit durch die Erinnerung des/der Schreibenden, durch den Prozess des Erinnerns reflektiert wird. In diesem Zusammenhang unterscheidet D. Mesher zwischen zwei Schreibrichtungen in autobiografischer Holocaust-Literatur, „between autobiographies that strive to communicate an accurate re-creation of an individual experience in historical terms, and those that attempt to recover the emotions and impressions of that experience as self-validating in themselves.“[2]
Aus der autobiografischen Literatur von Überlebenden des KZ Buna/Monowitz lassen sich hier nur einige Beispiele anführen. So erscheint Willy Berlers Bericht Durch die Hölle (2003) besonders bedacht auf die historisch genaue Einordnung des berichteten Erlebten, ein Eindruck, der durch erläuternde Hintergrundtexte der Historikerin Ruth Fivaz-Silvermann untermauert wird. Dem völlig entgegengesetzt ist Elie Wiesels Überlebenszeugnis La Nuit (1958, dt. Nacht, 1962) geprägt von einer Erzählperspektive, die versucht, Gefühle und Eindrücke des Protagonisten Eliezer im Lager sprachlich zu bergen. Ganz anders, die damalige Zeit, die all sein Schreiben prägte, aus dem Abstand der Jahre reflektierend, berichtet Wiesel von seiner Zeit im Lager noch einmal in seiner Autobiografie Tous les fleuves vont à la mer (1994, dt. Alle Flüsse fließen ins Meer, 1996), der einzigen ‚klassischen Autobiografie‘ eines Monowitz-Überlebenden, die von der gesamten Lebenszeit des Überlebenden spricht, nicht ‚nur‘ von seiner Lagerzeit.
Der bekannteste und für die philosophische und geisteswissenschaftliche Rezeption einflussreichste Bericht eines Monowitz-Überlebenden dürfte Primo Levis Se questo è un uomo (1958, dt. Ist das ein Mensch?, 1961) sein. Levi nutzt das Medium des Berichts der eigenen Erlebnisse in besonderem Masse für phänomenologische Beobachtungen des Lagerlebens und Reflexionen über dessen soziale Bedeutungen; diese reflexive Haltung zu seinen Erlebnissen prägt auch Levis Bericht über die Zeit unmittelbar nach der Befreiung, La tregua (1963, dt. Die Atempause, 1964). Jean Améry hingegen wollte gar keinen dokumentarischen Auschwitz-Bericht geben. Seine in dem Band Jenseits von Schuld und Sühne (1966) versammelten Essais reflektieren vielmehr einzelne Erfahrungen der Verfolgung, der Folter, des Lagers aus der Perspektive des Überlebenden und beleuchten ihre Bedeutung für diesen und sein Leben in der Nachkriegsgesellschaft.
Viele Überlebende des KZ Buna/Monowitz entschieden sich erst spät, ihre Erinnerungen an die Zeit im Lager niederzuschreiben, so Imo Moszkowicz und Paul Steinberg. In Moszkowiczs Bericht Der grauende Morgen (1998) spielt das Nachkriegsleben des erfolgreichen Theater- und Filmregisseurs eine wichtige Rolle. Die ungebetene Erinnerung an die Verfolgung, die Zwangsarbeit und Erlebnisse im KZ Buna/Monowitz bricht immer wieder in seine spätere Arbeit ein, bildet einen Bestandteil seines Alltags, den Moszkowicz immer wieder zu verdrängen versucht. Steinberg hingegen unternimmt in Chroniques d’ailleurs (1996, dt. Chronik aus einer dunklen Welt, 1998) vom Zeitpunkt seines Schreibens aus eine Annäherung an den 17-Jährigen, der er war, als er 1943 von Paris nach Auschwitz deportiert wurde. Dabei entsteht nicht nur ein Bild des damaligen Paul Steinberg in nur lose einer Chronologie folgenden Kapiteln, sondern auch ein Eindruck von den bleibenden Prägungen, die der Überlebende Paul Steinberg durch das Lager erfuhr und die er in seinem Schreiben bewusst macht.
(MN)